
Ein Plädoyer für mehr Toleranz
Wüste Beschimpfungen, Drohungen, gehässige Kommentare. Ob im echten Leben oder in den sozialen Medien: Ich habe den Eindruck, dass die Hemmschwelle bei manchem Zeitgenossen deutlich gesunken ist. Während Freundlichkeit und Toleranz verschwinden, machen sich laute Empörung und Gehässigkeit breit. Gar nicht schön.
Dabei könnte es auch anders gehen, wie ich an mir selber erfahren habe. Lange lehnte ich das ganze Halloween-Brimborium ab. Ärgerte mich darüber, dass die Gestelle in Supermärkten mit Süssigkeiten und Kostümen geflutet wurden und sich hier dieser amerikanisierte Kelten-Brauch breit macht. Am 31. Oktober liess ich früher kein Licht brennen; wer an der Tür läutete, bekam nichts Süsses – und ich zum Glück nichts Saures.
Doch dieses Jahr war alles anders. Ich gab Halloween eine Chance. Wir schnitzten hässliche Fratzen in Kürbisse und kaum brannten draussen auf der Treppe die Kerzen darin, klingelte es an der Türe. Herzige Hexen, Zauberer oder gfürchige Monster mit erwartungsvoll glänzenden Kinderaugen standen davor und baten um Süsses. Alle waren sie begleitet von ihren Eltern. Auf einem kurzen Spaziergang durch die Halloween-Nacht erspähte ich kunstvoll-gruslig dekorierte Eingänge, der Nachbar hat sich sogar eine ganz besondere Installation ausgedacht und erschreckte die Kinder mit Totenkopf im Fenster und dramatischer Musik. Kreativ! Und die Kinder erst! So einigen war deutlich anzumerken, dass es sie viel an Überwindung kostet, bei fremden Leuten zu klingeln. Umso grösser dann ihre Freude, wenn sie ihre Angst überwinden konnten und mit Bonbons belohnt wurden.
Und ich? Ich erinnerte mich daran, dass es im Städtli Aarburg früher den Sträggeli-Tag gab – am Tag bevor der Samichlaus kam. Wir zogen um die Häuser, sangen Lieder und erhielten Geld oder Köstlichkeiten. Irgendwann in den 90er-Jahren starb diese Tradition aus. Mit der Halloween-Nacht kamen bei mir nostalgische Erinnerungen auf und Verständnis fürs Um-die-Häuser-Ziehen – Altersmilde, nennt es mein Arbeitskollege. Und ich nenne es ein Plädoyer für mehr Toleranz.




