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Anklage gegen einen Aargauer Politiker: Darum wird der Name des mutmasslichen Exhibitionisten nicht genannt

In den letzten Tagen kam mehrfach die Frage auf, warum die AZ den Mann, der sich an der Aare vor Frauen und Mädchen entblösst haben soll, nicht mit Namen nennt. Leserinnen und Leser forderten dies, sie kritisierten auch die Redaktion. AZ-Chefredaktor Fabian Hägler erklärt und begründet den Entscheid, auf die Namensnennung zu verzichten.

«Kein Kommentar»: Das sagt der Aargauer Mitte-Politiker, dem Exhibitionismus vorgeworfen wird, zur Frage, ob er sich vor Mädchen entblösst habe. Am Mittwoch hat der 54-Jährige Tele M1 sowie dem «Blick» ein Video-Interview gegeben. Die Anschuldigungen seien schrecklich. «Das tut mir weh. Das sind grosse und schlimme Vorwürfe, die gegen mich erhoben wurden», sagt er.

«Grossmehrheitlich stimmen diese aber nicht», behauptet der Politiker. Auf Nachfrage, welche Vorwürfe falsch seien, wiegelt er ab. «Das kann ich nicht sagen.» Es gehe ihm derzeit nicht gut: «Ich habe ein Verfahren am Hals und fühle mich ziemlich schlecht.» Es tue ihm alles sehr leid, sagt der Politiker, ohne die Opfer um Entschuldigung zu bitten. Aufgeben kommt für ihn nicht infrage: «Ich werde um mein Recht kämpfen.» Es tue ihm vor allem für seine Freunde und seine Familie leid, die in die Sache hineingezogen worden seien. Jetzt warte er auf den Prozess, sagt der Aargauer.

Und er zieht sich von seinen Ämtern bei der Mitte Aargau zurück. «Das tue ich zum Schutz der Partei. Es stehen Grossratswahlen an, die Partei soll keinen Schaden haben.» Die Vorwürfe drehten sich um ihn und nicht um die Partei. Die Frage, warum er sich trotz gravierender Anschuldigungen und der Festnahme im Juli 2022 für die Nationalratswahlen im letzten Jahr aufstellen liess, beantwortet er mit: «Ich habe mich überreden lassen.»

Beschuldigter gab ein anonymes Interview

Gefilmt wurde der Mann von hinten im Wald, er trug einen Kapuzenpullover, die Stimme wurde verfremdet. Er sagt: «Meine Frau weiss Bescheid, und zwar von Anfang an, Arbeitgeber und Vereinsmitglieder wissen aber nichts.» Der Beschuldigte will anonym bleiben, unter dieser Bedingung gab er das Interview.

Auch für die AZ stellte sich die Frage, ob wir den Namen des Beschuldigten nennen sollten. Leserinnen und Leser forderten dies, weil es sich um einen Politiker handelt. Es wurde kritisiert, die Redaktion schütze einen Vertreter der Mitte, habe zwei SVP-Politiker bei Strafverfahren aber mit Namen genannt. Die Fragen aus der Leserschaft sind berechtigt und sollen hier beantwortet werden.

Vergleich von drei Fällen mit Strafverfahren

Patrick Frei: Die SVP Aargau teilte im September 2023 mit, dass der Grossrat wegen eines Strafverfahrens zurücktritt. Später meldete Tele M1, Frei sitze wegen Verdachts auf sexuelle Handlungen mit Minderjährigen in U-Haft. Die AZ berichtete nach Bestätigung der Staatsanwaltschaft. Eine anonyme Berichterstattung war nicht möglich, weil der Name schon publik war.

Naveen Hofstetter: Der SVPler schrieb im Herbst 2021 auf Facebook sinngemäss, bei einem Ja zur «Ehe für alle» könnten afrikanische Flüchtlinge junge Mädchen adoptieren, um sie zu missbrauchen. Sein Post war öffentlich, später wurde Hofstetter wegen Rassendiskriminierung verurteilt. Auch in diesem Fall war eine Berichterstattung ohne Namensnennung unmöglich.

Exhibitionist: Die Staatsanwaltschaft Solothurn teilte am Montag mit, dass sie Anklage gegen einen 54-jährigen Schweizer erhebt. Sie wirft ihm Exhibitionismus und sexuelle Handlungen mit Kindern vor. Recherchen ergaben, dass es sich um einen Mitte-Politiker handelt. Die AZ hat das Recht des Mannes auf Schutz der Privatsphäre und das Recht der Öffentlichkeit auf Information sorgfältig abgewogen.

Es gibt erst eine Anklage, der Fall ist von keinem Gericht beurteilt worden, es gilt die Unschuldsvermutung.

Der Beschuldigte übt kein politisches Amt aus, in das er gewählt wurde. Er kandidiert auch nicht, daher besteht kein überwiegendes öffentliches Interesse an Namensnennung.

Angehörige und Kinder von Beschuldigten sind bei Berichten über Strafverfahren besonders zu schützen. Auch dies spricht gegen eine Namensnennung im aktuellen Fall.

Wäre der Fall von Patrick Frei gleich verlaufen wie jener des Exhibitionisten, hätte die AZ den Namen des SVP-Politikers nicht genannt. Die Parteizugehörigkeit von Beschuldigten spielt bei der Frage der Namensnennung keine Rolle.