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Das sind die wichtigsten Stimmen im Showdown um Europa – ein Team hat die Nase vorn

Die Schweiz steht vor einer monumentalen EU-Debatte. Gegner und Befürworter rüsten für den grössten Abstimmungskampf seit der Diskussion um einen EWR-Beitritt.

Ja oder Nein zu den neuen bilateralen Verträgen mit der EU? Es wird der heftigste und teuerste Abstimmungskampf seit Jahrzehnten, so viel steht fest. Vergleichbar wohl nur mit der Kampagne um den EWR 1992, den Christoph Blocher für sich entschieden hat. Nach jahrelangen Verhandlungen liegen die bisher geheimen Verträge endlich auf dem Tisch. Der Bundesrat hat sie unter dem Titel Stabilisierungspaket in die Vernehmlassung geschickt – und die politische Debatte lanciert.

Die Protagonistinnen und Protagonisten kommen aus den Startblöcken. Dabei zeigt sich: Die Gegner sind heute besser organisiert als die Befürworter. Und bereits zeichnet sich ab, wo die Abstimmungsschlacht am Ende entschieden wird.

Die Gegner: Martullo-Blocher ist die Chefin

Angeführt wird das Team der EU-Skeptiker von Magdalena Martullo-Blocher. So wie sie die Führung des Familienunternehmens EMS-Chemie vom Vater übernommen hat, so erbt sie von ihm auch das EU-Dossier.Christoph Blocher wird die Kampagne aus dem Hintergrund begleiten, mit Auftritten in seinem Interviewformat «Teleblocher» und wohl nur vereinzelten Reden an öffentlichen Anlässen.

Die SVP-Nationalrätin, die in der Wirtschaftskommission sitzt, lässt sich jeweils in die Aussenpolitische Kommission einwechseln, sobald dort die EU-Verträge zur Debatte stehen. Martullo war es auch, die zusammen mit Fraktionschef Thomas Aeschi, ihrem Adjutanten im Kampf gegen Brüssel, in den «Reading Room» im Aussendepartement abtauchte, wo die Vertragstexte unter höchster Vertraulichkeit studiert werden konnten. Parteipräsident Marcel Dettling ist derweil für Auftritte mit der Hellebarde verantwortlich, das martialische Symbol des SVP-Kampfs gegen die EU.

Das EU-kritische Lager ist nicht nur gut organisiert, sondern weit über das Bundeshaus hinaus vernetzt. Die Vereinigung Kompass Europa um die drei Milliardäre der Partners Group, Alfred Gantner, Urs Wietlisbach und Marcel Erni, mobilisiert im Finanzplatz Schweiz. An Geld wird es dem Nein-Komitee angesichts der Ansammlung schwerreicher Unternehmer nicht mangeln. Derweil soll die Organisation Autonomiesuisse mit TransportunternehmerHans-Jörg Bertschidas Gewerbe ansprechen, die KMU-Schweiz.

Strategisch blasen die EU-Kritiker zum Zangenangriff: Mit der Initiative gegen eine 10-Millionen-Schweiz attackiert die SVP einmal mehr die Personenfreizügigkeit. Und die Kompass Europa verlangt in einem Volksbegehren das obligatorische Referendum für alle wichtigen völkerrechtlichen Verträge – natürlich vor allem für die neuen EU-Abkommen. Bei einer Annahme müssten diese Verträge nicht nur vom Volk, sondern auch von der Mehrheit der Kantone gutgeheissen werden. Diese Hürde wäre hoch.

Inoffiziell lässt sich auch Gewerkschaftspräsident und SP-Ständerat Pierre-Yves Maillard dem Nein-Lager zurechnen. Nachdem er beim Lohnschutz viele seiner Forderungen durchsetzen konnte, nimmt er nun das Stromabkommen als Teil des Pakets ins Visier. Er stört sich an der Liberalisierung des Strommarkts für Kleinkunden.

Die Befürworter: Uneins bis zur letzten Minute

Ganz anders präsentiert sich die Lage bei den Befürwortern der EU-Verträge. Nur wenige wagten sich bislang aus der Deckung. Selbst in der SP, die sich eine Annäherung an die EU auf die Fahne schreibt, bemühten bislang viele die Schutzbehauptung: Bevor sie Position beziehen können, müssten sie zuerst das 1800 Seiten starke Vertragswerk büffeln.

Auf die Initiative des Bündner Nationalrats Jon Pult geht zurück, dass die SP im Sommer ’22 ein Europa-Papier mit dem Titel «Partei ergreifen für Europa» verabschiedete und damit einen Grundsatzentscheid im für die Linken kontroversen Thema fällte.

Nicht zufällig fand jener SP-Parteitag in Basel statt. Die prominentesten Befürworter stammen auffällig oft aus der Nordwestschweiz: SP-Nationalrat Eric Nussbaumer, der die Neue Europäische Bewegung der Schweiz präsidiert, Bundesrat Beat Jans oder auch die Baselbieter Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter. Sie gilt als Speerspitze der Handelskammern und wird versuchen, möglichst viele davon hinter sich zu scharen. Schneider-Schneiter sitzt auch im Vorstand von Economiesuisse.

Das Zepter des Wirtschaftsdachverbands führt hingegen Monika Rühl. Die einstige Spitzendiplomatin übernahm nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative und will seit zehn Jahren die Wirtschaftslobby näher ans Volk bringen. Rühl gilt aber eher als zurückhaltend in der Kommunikation («Ich bin keine Rampensau»).

Mehr zur Galionsfigur taugt der Solothurner FDP-Nationalrat Simon Michel. Der CEO des Medizintechnik-Konzerns Ypsomed weibelt auf allen Kanälen für das Europa-Dossier. Als Unternehmer, der in der Schweiz und er EU tätig ist, geniesst Michel eine hohe Glaubwürdigkeit – und als Milliardär ist er auch finanziell ein Gegengewicht zu Gantner und Co.

Vor allem in einer ersten Phase wichtig wird der Aargauer Regierungsrat Markus Dieth: Als Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen muss er mindestens 18 Kantone hinter einem Ja vereinen – es wäre ein starkes Signal ans Parlament in der Diskussion um ein Ständemehr.

Spannend wird, wer dem Abstimmungskampf mit publikumswirksamen Auftritten Impulse versetzt. In der Vergangenheit stellte sich stets die Operation Libero in den Weg der SVP. Nach missglückten Auftritten ihres Aushängeschilds Sanija Ameti scheint die Organisation jedoch mit sich selbst beschäftigt. Dazu passt: Die Europa-Initiative, welche analog zum Nein-Lager als Rückenwind geplant war, floppte bereits bei der Unterschriftensammlung.

Vielleicht kommt die Rolle auch dem Öko-Lager zu: GLP und Grüne gelten in der EU-Frage als geeint. Grünen-Präsidentin Lisa Mazzonehielt schon flammende Plädoyers für ein Stromabkommen.

Die wichtigste Figur wird aber ein Mann, der sich in den vergangenen Monaten vielfach in Schweigen gehüllt hatte: Aussenminister Ignazio Cassis. Der Ausgang der Auseinandersetzung wird davon abhängen, wie gut der Tessiner das Verhandlungsergebnis präsentiert. Die jüngsten Auftritte, etwa als er den Verzicht auf das Ständemehr begründete, zeugen von einem neuen Selbstbewusstsein.

Diese Unentschlossenen sind letztlich entscheidend

Es ist kein Geheimnis: Entscheidend für Cassis‘ Rückendeckung ist seine eigene Partei. Offener denn je ist die Position der FDP seit dem Rücktritt ihres Präsidenten Thierry Burkart. Eine Delegiertenversammlung im Herbst wird Licht ins Dunkel bringen: Gleichentags entscheidet die Partei sowohl über das Präsidium als auch über das EU-Dossier. Wobei das eine ziemlich sicher mit dem anderen zusammenhängt. Wird am Ende sogar der europanahe Andri Silberschmidt die Geschicke des Freisinns leiten? Oder Susanne Vincenz-Stauffacher?

Noch bedeckt hält sich der designierte Mitte-Präsident Philipp Bregy: Die Verträge seien seine Sommerlektüre, lässt er verlauten. Ihm Nahestehende behaupten, Bregy habe Sympathien für eine Annäherung an Europa, mehr zumindest als sein Vorgänger Gerhard Pfister. Und doch empörte sich Bregy über den Bundesratsentscheid, dass es für die Abstimmung kein Ständemehr brauche. Status: unklar.

Eine undurchsichtige Rolle spielt Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter. Die freisinnige Finanzministerin begleitet das Thema kritisch. Manche sehen darin ein strategisches Manöver: Sollte sich Keller-Sutter dereinst für das Vertragspaket engagieren, könnte sie darauf hinweisen, dass sie eben nicht aus europapolitischer Schwärmerei Ja sage, sondern mit ihrem Widerstand zu einem guten Vertragsergebnis beigetragen habe. Was ihre Glaubwürdigkeit in den Gemeindesälen markant erhöhen würde.