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Der Belgier Red Sebastian im Interview: «Was andere über dich denken, ist doch komplett egal!»

Er wollte keinen typischen ESC-Song schreiben – sondern einen über das, was ihn rettete: über das Nachtleben, die Fantasie und das Recht, anders zu sein.

Der Belgier Seppe Herreman trägt als Red Sebastian nur eine Farbe: Rot – egal, ob auf der Bühne oder beim Interview in einem Kleinbasler Hotel. Und tatsächlich scheint in ihm ein Feuer zu lodern: Bereits mit 13 Jahren nahm er an einer Talentshow teil. Nun gilt er als Belgiens grösste Hoffnung auf einen ESC-Sieg seit gut 40 Jahren. Bei den Buchmachern belegt er derzeit den fünften Platz.

Dein Song «Strobe Lights» steckt voller Anspielungen auf «Alice im Wunderland». Du lebst offen queer. Ist auch dieses Wunderland ein queerer Ort?

Red Sebastian: Für mich persönlich ist dieses Wunderland ein Nachtclub. Der Song handelt davon, sich komplett in der Musik und im Tanz zu verlieren. Genauso, wie sich auch Alice im Wunderland verliert und dabei neue Welten entdeckt. Der Song spricht darüber, frei zu sein und sich nach Herzenslust ausprobieren zu können.

Hast du ihn bewusst für den ESC geschrieben?

Ja. Vor einem Jahr habe ich erfahren, dass ich an der belgischen Vorentscheidung teilnehmen darf. Ich wollte unbedingt mit eigenen Songs antreten. Also schrieb ich den Sommer über zwölf Songs. «Strobe Lights» war der letzte davon. Ich wollte keinen typischen ESC-Song schreiben, sondern einen, der sich wie ich selbst anfühlt. Wenn man als Künstler sich selbst treu bleibt und erst noch Spass dabei hat, merkt einem das Publikum das auch an. Und mal ehrlich, was soll das überhaupt sein, «ein typischer ESC-Song»?

Da gab es in den letzten Jahrzehnten einige Genre-Experimente.

Nichts ist zu seltsam, zu schrill oder zu ausgefallen – alles ist möglich. Genau das ist auch das Schöne am ESC!

Gab es einen Moment in deinem Leben, an dem du wusstest: Ich will eines Tages auf dieser Bühne stehen?

Das wusste ich schon immer. Als Kind fühlte ich mich oft wie ein Aussenseiter. Der ESC war für mich ein Rückzugsort – und ein Versprechen: Ich darf sein, wie ich bin, ohne mich anpassen zu müssen. 2006 habe ich miterlebt, wie Lordi den ESC gewonnen haben. Als Kind haben sie mir etwas Angst gemacht. Aber ich habe mir auch gedacht: Wenn eine als Monster verkleidete Rockband gewinnen kann, dann ist am ESC alles möglich. Der wirkliche Wendepunkt kam allerdings später.

Wann denn?

2012, als Loreen für Schweden mit «Euphoria» gewann. Das hat etwas in mir verschoben. Ich stellte mir nicht mehr die Frage, ob ich je beim ESC antreten würde – sondern wann. Ab 2017 schrieb ich dem belgischen Fernsehen jedes Jahr, dass ich teilnehmen möchte. Und jetzt, acht Jahre später, sitze ich hier in Basel.

Loreen gewann gleich zwei Mal, zuletzt 2023.
Bild: Joerg Carstensen / EPA/DPA

Inzwischen standest du für die Proben bereits auf der Bühne. War das so, wie du es dir vorgestellt hast?

In Belgien habe ich zwar auch schon geprobt. Mit Klebeband auf dem Boden haben wir versucht, die Basler Bühne nachzuempfinden. Doch vor Ort musste ich feststellen: Die echte Bühne ist einfach gigantisch. Es ist wunderbar, endlich darauf stehen zu dürfen, zu sehen, wie alles zusammenkommt: die Visuals, das Licht, die Bühne, der Gesang, die Tanz-Crew. Klar, es ist anstrengend, gerade mit den vielen Kameras. Aber langsam gewöhne ich mich daran. Und ich liebe es.

Am Dienstag trittst du im ersten Halbfinal auf – und feierst zugleich deinen 26. Geburtstag.

Ich hoffe ja, der ESC schenkt mir eine rote Torte mit roten Kerzen!(Lacht.)Spass beiseite, ich wusste das schon länger. Und meinte zu meinem Manager: «Wir müssen diese Vorentscheidung einfach gewinnen – sonst wird das der wohl schlimmstmögliche Geburtstag.» Ich hoffe, ich kann meinen Geburtstag mit dem Publikum und allen Acts aus beiden Halbfinals feiern. Es soll eine riesige Party werden.

Du trägst bekanntlich nur Rot. Warum?

Rot war schon als Kind meine Lieblingsfarbe. Für mich steht sie für Liebe, Leidenschaft und Zielstrebigkeit, dafür, sein eigener Boss zu sein, für «owning it»! All das will ich auf der Bühne auch ausdrücken. Für mich gab es deshalb gar keine andere Möglichkeit, als mich auch nach dieser Farbe zu benennen – und nach Sebastian, der Krabbe aus «Arielle, die Meerjungfrau».

Red Sebastian will beim Publikum nicht nur mit seinem Outfit, sondern auch mit seinem grossen Stimmumfang glänzen.
Bild: Kenneth Nars

Dein Lieblingsfilm?

Zumindest mein liebster Zeichentrickfilm. Auch «Alice im Wunderland» und «Peter Pan» haben mich als Kind sehr bewegt. Aber «Die kleine Meerjungfrau» habe ich am häufigsten gesehen.

Dann sind Krabben wohl auch deine Lieblingstiere?

Nein, mein inneres Tier, mein «Spirit Animal», ist eher ein Strauss.

Eine originelle Wahl.

Sie sind so unangepasst und stolz, richtig «fierce» – und sie können auch ganz schön gefährlich sein! Etwas exzentrisch, aber sehr schnell und furchtlos, wenn es sein muss. Ein bisschen wie ich selbst.

Gibt es einen Unterschied zwischen Red Sebastian und dem privaten Seppe Herreman?

Viele fragen mich, ob Red Sebastian mein Alter Ego sei. Ich würde eher sagen: Red Sebastian ist ein Teil von Seppe – und Seppe ist ein Teil von Red Sebastian. Red Sebastian ist der Teil von mir, der sich vor nichts fürchtet, der laut, stolz und kompromisslos ist. Auf der Bühne zeige ich vor allem diesen Aspekt von mir. Seppe dagegen ist meine ruhigere Seite, auch wenn ich immer viel rede.(Lacht.)Ich bin eben in verschiedene Teile aufgeteilt – und sie begleiten mich stets alle gleichzeitig.

Die LGBTQ-Gemeinschaft steht heute auch im Westen zunehmend unter Druck. Welche Rolle können der ESC und deine eigene Musik hier spielen?

Als queere Person finde ich es wichtig, Sichtbarkeit für die LGBTQ-Gemeinschaft zu schaffen. Mein Traum ist, dass alle so leben können, wie sie sind – und sich dabei wohlfühlen. Und zwar genauso wohl, wie ich mich als Kind gefühlt habe, wenn ich den ESC geschaut habe. Auf der Bühne trete ich geschminkt und komplett in Rot auf. Ich hoffe, dass ich damit junge Menschen inspirieren kann, nach dem Motto: «Wenn er so sein darf, darf ich auch so sein.»

Dieses Jahr sind neben dir einige queere Acts vertreten, etwa Miriana Conte für Malta.

Ja, und sie treten alle sehr selbstbewusst auf. Das ist wichtig, weil es hoffentlich dazu beiträgt, dass mehr Menschen sich selbst so annehmen können, wie sie sind. Wir haben nur ein Leben. Da sollte man sich nicht vor den Reaktionen anderer Menschen fürchten müssen. Was andere über dich denken, ist doch komplett egal!

Was hast du empfunden, als Nemo letztes Jahr gewann?

Ich war sprachlos, als ich den Gesang gehört habe: Nemo stand auf einer Plattform, die ständig drohte – und sang trotzdem live, und zwar makellos. Dieser Sieg war absolut verdient.

Belgien gewann 1986 zum letzten Mal am ESC. Hast du also tatsächlich «eine nationale Pflicht zu erfüllen», wie du gegenüber dem belgischen Fernsehen gesagt hast?

Es wäre unglaublich, wenn Belgien fast 40 Jahre nach Sandra Kim wieder gewinnen könnte. Ich glaube fest daran – und glaube, dass man seinem Ziel einen grossen Schritt näherkommt, wenn man wirklich dafür brennt.