
Fakten vor Neugierde
Ich scrolle durch die lokale Facebook-Gruppe und stolpere über ein Bild : Ein Wahlzettel, handschriftlich ergänzt, dazu der Hinweis, der Vizeammann-Kandidat sei eigentlich «der Richtige» fürs höchste Amt. Ein Screenshot, geteilt in WhatsApp-Statusmeldungen, weitergeleitet, kommentiert. Und plötzlich wabert ein Gerücht durchs Dorf.
Als Journalistin ist die Reaktion klar: recherchieren, nachfragen, prüfen. Neutral bleiben, alle Stimmen hören, die Fakten abbilden. Und doch meldet sich sofort auch die innere Stimme. War das eine gut gemeinte Unterstützung? Eine gezielte Aktion? Ein Spiel, das niemand mehr kontrollieren kann? Die Gedanken laufen, der Stift bremst. Manchmal frage ich mich, wie schnell aus einer kleinen Handlung ein grosses Thema wird und wie sehr der digitale Raum alles beschleunigt.
Das ist der Widerspruch im Alltag: Wir berichten nüchtern, aber denken menschlich. Neutralität heisst nicht, dass keine Meinung da wäre. Sie heisst, dass die Meinung im Kopf bleibt und nicht aufs Papier rutscht. Diese Disziplin ist manchmal anstrengend – aber sie schützt das Vertrauen. Es geht darum, die Abläufe transparent zu machen, nicht zu beeinflussen.
Gleichzeitig sind die neuen Schauplätze der Politik kaum zu übersehen. Wahlkampf findet längst nicht mehr nur am Stammtisch, bei Veranstaltungen oder in der Turnhalle statt. Er tobt auch in Statusmeldungen, Kommentaren und Gruppen. Dort, wo eine handgeschriebene Notiz auf einem Wahlzettel plötzlich mehr Reichweite bekommt als ein offizielles Flugblatt. Und mitten in diesem Stimmengewirr meldet sich die eigene Gedankenwelt zu Wort. Und manchmal ist genau dieser innere Ton ein Geschenk: Er hilft, das öffentliche Geschehen zu durchleuchten, zu spüren, welche Fragen wirklich brennen. Aber er bleibt privat. Nicht aus Feigheit, sondern aus Pflicht gegenüber den Lesenden: Weil Vertrauen zerbrechlich ist, bleibt unsere Meinung im Redaktionsraum – nicht in der Öffentlichkeit.
Also schreibe ich den Artikel, bleibe bei den Zitaten, lasse die Emotionen der Beteiligten sprechen. Die persönliche Stimme bleibt im Kopf. Und manchmal, ganz leise, schmunzelt sie über den Wahlzirkus im Netz – während die Finger streng neutral bleiben.