
Bohrinseln statt Strandkörbe? Ein Öl- und Gasfund bedroht ein beliebtes Reiseziel von Schweizer Touristen
Die Insel Usedom im äussersten Nordosten Deutschlands lebt vor allem vom Tourismus: Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin, die drei sogenannten Kaiserbäder, ziehen jetzt im Sommer Ferienreisende aus der ganzen Republik, aber auch aus der Schweiz an. Ausser dem Fremdenverkehr hat die ländliche Region im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern nicht viel.
Die Arbeitsplätze in Hotels, Cafés und Restaurants sind meist karg bezahlt: Bei rund 3000 Euro liegt ein mittleres Monatsgehalt auf Usedom, das sind 1600 Euro weniger als der deutsche Durchschnittslohn. Die Ehrgeizigeren verlassen die Region und ziehen nach Berlin oder gleich in die Grossstädte im Westen Deutschlands. 57 Prozent der Inselbewohner stimmten bei der Bundestagswahl im Februar für die AfD: ein Zeichen der Unzufriedenheit.
In Deutschland gibt man sich gern ökologisch
Nun, so fürchten manche, könnte Usedom sein einziges Kapital verlieren: die Schönheit seiner Landschaft und im schlimmsten Fall auch die Sauberkeit des Meerwassers. Vor dem östlichen Teil der Insel, der seit 1945 zu Polen gehört, hat der kanadische Konzern Central European Petroleum (CEP) nach acht Monaten Suche einen grossen Öl- und Gasfund gemacht.
Sechs Kilometer vor der Küste der polnischen Hafenstadt Swinoujscie, dem früheren Swinemünde, sollen sich laut Schätzungen des Konzerns bis zu 33 Millionen Tonnen Öl und rund 27 Milliarden Kubikmeter Erdgas etwa 2700 Meter unter dem Meeresboden befinden. Von einem historischen Fund spricht Rolf Skaar, der CEO des kanadischen Unternehmens. In drei bis vier Jahren hofft CEP, mit der Förderung beginnen zu können.
Die Diskussion, die seit dem Bekanntwerden des Fundes letzte Woche entbrannt ist, sagt einiges über die unterschiedlichen Mentalitäten auf beiden Seiten der Grenze aus: Während in Polen, der aufstrebenden Wirtschaftsmacht im Osten Europas, Euphorie herrscht, dominieren in der deutschen Öffentlichkeit ökologische Bedenken.
In Warschau sagt Krzysztof Galos, der Chefgeologe der polnischen Regierung, Polens mutmasslich grösster Öl- und Gasfund könne massgeblich zur Stärkung der Energiesicherheit und zur Verringerung der Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten beitragen. Die Zukunft liege nicht im Öl, sondern in Sonne und Wind, erklärt dagegen Till Backhaus, der sozialdemokratische Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern.
Auch Deutschland will nun mehr Gas fördern
Dass auch Windparks auf Usedom höchst umstritten sind, erwähnte der Minister lieber nicht. Und noch etwas anderes verdrängen manche in Deutschland: dass die eigene Regierung eben erst einem Abkommen mit den Niederlanden zugestimmt hat, das die Förderung von Erdgas vor der Nordseeinsel Borkum vorsieht.Der damalige Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünenwar hier noch als Bremser aufgetreten; die neue Regierung unter dem Christdemokraten Friedrich Merz gewichtet ökonomische Interessen wieder höher.
Auch auf Usedom hätten die Deutschen wohl gern Öl und Gas gefördert; vor Heringsdorf führte ein Tochterunternehmen des französischen Energiekonzerns Engie 2017 Probebohrungen durch, doch erwies sich die Qualität der aufgefundenen Kohlenwasserstoffe als ungenügend, sodass sich eine Förderung wohl nicht gelohnt hätte.
Deutschland würde allerdings auch von einer Ausbeutung des polnischen Vorkommens profitieren, meint Ludwig Möhring, der Geschäftsführer des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie, der die Interessen der deutschen Förderunternehmen vertritt: Die Lage auf dem europäischen Öl- und Gasmarkt würde sich nämlich entspannen, wenn Polen mehr produzieren würde, sagte Möhring dem Fernsehsender NTV.
Gehört ein Teil des Öls den Deutschen?
Ob auf polnischer Seite ohne deutsche Zustimmung überhaupt gefördert werden kann, ist derweil noch offen. Wolfgang Blank,Mecklenburg-Vorpommernsparteiloser Wirtschaftsminister, hält es für möglich, dass sich die Lagerstätte auf dem Hoheitsgebiet beider Länder befindet.
Er gehe davon aus, dass man bei den Bohrungen in Polen auf «die zu Zeiten der DDR erbohrte Lagerstätte ‹Heringsdorf›» gestossen sei, erklärte Blank. Am Ende werden wohl weitere Erkundungen zeigen müssen, ob es sich um dasselbe Vorkommen handelt: Liesse infolge einer Förderung in Polen der Druck auf der deutschen Seite nach, dürfte dies der Fall sein.
Dann müssten sich beide Länder auf eine gemeinsame Förderung einigen, womit Deutschland auch direkt von dem Vorkommen profitieren würde. Und die Usedomer Tourismusbranche würde womöglich den ein oder anderen Fürsprecher in der deutschen Politik verlieren.