
Weltstars in Boswil: Und doch bangt eines der schönsten Klassikfestivals der Schweiz um sein Publikum
«Die fünfte Jahreszeit» nannte man es in Boswil, gemeint waren die 10 Tage Ende Juni, wenn jeweils der Boswiler Sommer startete. Startete? Er brach los wie ein Sommergewitter; blühte auf wie ein Sommermorgen; musste, wenn in der Kirche die Temperaturen über 28 Grad stiegen, bisweilen ausgehalten werden wie die Sommerhitze; und er zeigte sich dann mit allen blumenduftenden und Grillen zirpenden Annehmlichkeiten eines Sommerabends.
Schon alleine eine Stunde vor dem Konzert im Boswiler Hain zu sitzen, war jeweils so schön wie eine Woche Sommerferien. Doch dann kam in Boswil einiges durcheinander. Am Ende zum Leidtragen des Publikums. 2023 gab es keinen Boswiler Sommer, 2024 immerhin ein Frühlings- und ein Herbstfestival.
Nun aber ist der Boswiler Sommer (BoSo) wieder da. Am vergangenen Sonntag waren die Chaarts so nett, eine Art Einstimmung zu geben, wurde doch in der Art von einst um 11 und 18 Uhr gespielt. War es früher gar nicht so einfach, für die Top-Konzerte eine Karte zu erhalten, so ist dies in den nächsten zehn Tagen noch einfach. Und bange fragt man: Hat sich der «Boswiler Sommer» so schnell aus den Köpfen der Boswil-Freunde verabschiedet? Waren die BoSo-Häppchen im Frühling und Herbst 2024 nicht genug schmackhaft? Oder ist doch zu viel los im Aargau mit Solsbergfestival und Lenzburgiade zur praktisch gleichen Zeit?
Benjamin Nyffenegger sagt: «Der Boswiler Sommer kommt dieses Jahr zum ersten Mal nach einer zweijährigen Pause zurück und wir müssen hierfür wieder ein Publikum aufbauen. Und grundsätzlich entscheidet das Publikum kurzfristiger als vor Corona.» Kommt wohl hinzu, dass die vergangenen Hitzetage nicht dazu animierten, Karten für Konzerte zu kaufen.
Wer allerdings aufs Programm des Boswiler Sommers schaut, entdeckt da Grossartigkeiten, die den Gang nach Boswil in den nächsten Tagen sehr leicht machen. Die beiden künstlerischen Leiter, Meistergeigerin Julia Fischer und der Cellist Benjamin Nyffenegger, haben ein prächtiges Programm zusammengestellt.
Mozarts traumschöne Sinfonia Concertante für Bratsche und Geige mit Nils Mönkemeyer und Julia Fischer am Eröffnungsabend? Wie auch nicht! Am Samstag kann man das Zelt gleich in Boswil aufschlagen: Auf Musikwanderung gehen, um 17 Uhr Dmitri Schostakowitsch 8. Streichquartett hören, einen Happen essen und dann am Abend unter anderem Schostakowitsch Kammersinfonie kennen lernen.

Bild: Roland Schmid
Es wird zwar schon wieder Tag sein, wenn am Sonntagmorgen um 11 Uhr Franz Schubert «Notturno» in Es-Dur, op. 148 für Klaviertrio erklingt, aber von einer schönen Welt träumen darf man dazu dennoch. Und dann aufs 17 Uhr-Konzert warten, wo etwa Antonín Dvořák Trio in f-Moll für Klavier, Violine und Violoncello gespielt wird, ehe am Abend Dmitri Schostakowitsch Klavierquintett op. 57 erklingt.
Und dann geht’s in die Festivalwoche hinein: Dienstag, Mittwoch und Donnerstag gibt es jeweils am Abend ein grosses Konzert, reich gefüllt mit Klassikern und Überraschungen. Das Boswiler Festspielensemble erweitert sich mal mehr mal weniger, am Mittwoch und Donnerstag allerdings mit einem sehr speziellen Gast, da wirkt dann jeweils der weltberühmte Tenebrae Choir und der Leitung von Nigel Short mit.
Und kein geringerer als Paavo Järvi, Chefdirigent des Tonhalle-Orchesters Zürich und Stammgast bei den weltbesten Orchestern in Berlin, Paris wie London, leitet am Freitag das Festivalorchester. Name-Droping allerdings könnte man mit jedem einzelnen Konzert betreiben.
Dann steht das Abschlusswochenende an, bei dem man am Samstag am liebsten erneut den Liegestuhl im Boswiler Hain aufstellen würde, um keines der Konzerte um 11, 17 und 20 Uhr zu verpassen. Die Mischung aus Rarität und Hit ist wie in der ganzen Woche auf dem Papier so einladend wie stimmungsvoll. Kinderkonzert und furioses Finale um 17 Uhr inbegriffen.
Noch Fragen? Warum damit nicht zur offenen Probe am Donnerstag gehen? Und die alteingesessenen wissen eh: In Boswil sind die Künstler so nah zu erleben wie fast nirgendwo sonst. Der Austausch findet draussen in der Natur ganz natürlich statt.