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Fünf Jahre nach dem Absturz der «Tante Ju»: Gibt es noch weitere Schuldige? Das ermittelt die Bundesanwaltschaft – immer noch

Am 4. August 2018 stürzte eine «Ju 52» bei Flims ab. Alle 20 Menschen an Bord starben. Direkte Ursache für den Crash war gemäss der Unfallermittler das Fehlverhalten der Piloten. Aber gibt es noch weitere Verantwortliche? Das ermittelt die Bundesanwaltschaft – immer noch.

«Das Verfahren ist noch am Laufen, weswegen wir zurzeit keine weiteren Auskünfte dazu geben können.» – Diese Antwort erhalten Medienschaffende, die sich bei der Bundesstaatsanwaltschaft erkundigen, wie es um das Strafverfahren gegen mögliche Verantwortliche für den Absturz der «HB-HOT» steht.

Heute ist der fünfte Jahrestag des Unfalles, bei dem das Oldtimer-Flugzeug vom Typ Junkers Ju 52 («Tante Ju») südwestlich des Bündner Piz Segnas zerschellte. Zwanzig Menschen starben; darunter die zwei Piloten und die Flugbegleiterin. Sie hatten sich auf dem Rückflug einer «Erlebnisreise» ins Tessin befunden. Es war das schlimmste Flugunglück auf Schweizer Boden seit dem Crossair-Absturz bei Bassersdorf mit 24 Toten.

Die erfahrenen Piloten sollen den Unfall mit ihrer «hochriskanten Flugführung» unmittelbar verursacht haben – so steht es im Anfang 2021 veröffentlichten Schlussbericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust). Konkret: Sie flogen zu tief, zu langsam und auf einer Linie zum Berg, die ihnen kein Umkehrmanöver ermöglichte.

Nun kann man natürlich die verstorbenen Piloten nicht mehr strafrechtlich verfolgen. Die Bundesstaatsanwaltschaft hat aber dennoch genügend Anhaltspunkte dafür, wo sie ermitteln könnte. Denn die Sust – deren Auftrag es nicht ist, die Schuld zu klären, sondern Sicherheitsprobleme zu finden – zählt auf einigen hundert Berichtsseiten Defizit um Defizit auf. Bei der Flugbetreiberin Ju-Air, bei der Instandhaltungsfirma, bei der Aufsichtsbehörde. Der Untersuchungsleiter beschrieb es in einem TV-Interview so: «Wo immer wir den Teppich anhoben, hatte es Dreck darunter.»

Es gab zahlreiche Defizite in Unterhalt und Betrieb

Klar ist aus Sicht der Experten: Die «HB-HOT» hätte gar nicht fliegen dürfen. Das Flugzeug hatte erhebliche Korrosionsschäden, die Instandhaltung war nicht ordnungsgemäss ausgeführt worden. Der Ju-Air (dahinter steht der Verein der Freunde der Schweizerischen Luftwaffe) schrieb die Sust Unterlassungen zu; dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) Nachlässigkeit: Die Aufsichtsbehörde habe Mängel nicht erkannt respektive nichts dagegen unternommen. Offiziell will niemand gemerkt haben, dass manche Ju-Air-Piloten, besonders jene mit Luftwaffenvergangenheit, systematisch Regeln nicht einhielten und hohe Risiken eingingen.

Ein Sust-Mitarbeiter untersucht das Wrack. 
Bild: Laurent Gillieron / KEYSTONE

Innerhalb des Bazl war allerdings umstritten, welche Regeln für die Oldtimerflugzeuge eigentlich gelten. Dass die Ju-Air während Jahren deutlich unter den Mindestflughöhen für gewerblichen Luftverkehrsbetrieb unterwegs war, wurde laut Sust geduldet – weil «die für Ju-Air zuständigen Inspektoren und auch manche Führungskräfte des Bazl» genau wie die Flugbetreiberin der Ansicht waren, dass die entsprechenden europäischen Verordnungen auf diesen Spezialfall nicht anwendbar seien.

Eine Ju 52 an einem Flugtag in Buochs. 
Neue Nidwaldner Zeitung

Manche Beamten stellten sich auf den Standpunkt, dass «die für den gewerblichen Betrieb geltenden Regelwerke» grosse historische Luftfahrzeuge im Sichtflugbetrieb nicht genügend behandeln, der Schweiz also «eine gewisse Flexibilität bei der Anwendung der Vorgaben zustehe».

Kommt es dereinst zur Anklage?

Von Seiten der Bundesanwaltschaft heisst es, man könne keine Prognose abgeben, wann das Verfahren zum Abschluss komme; wann also eingestellt oder angeklagt wird. Das sei auch nicht alleine von der Bundesanwaltschaft abhängig.

Bei den letzten grösseren Flugunglücken in der Schweiz – 2000 in Nassenwil und 2001 in Bassersdorf – hatte die Bundesanwaltschaft ebenfalls Verfahren eröffnet. Gegen Mitarbeitende der Fluggesellschaft Crossair, aber auch des Bazl. Im Fall Nassenwil, der zehn Menschen das Leben gekostet hatte, wurde das Verfahren wegen fahrlässiger Tötung sieben Jahre nach dem Unglück eingestellt. Wegen Verjährung und weil sich gemäss Untersuchungsrichter der Verdacht nicht erhärten liess.

Im Fall Bassersdorf kam es zu Anklagen – und zu Freisprüchen. Das Bundesstrafgericht sah keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Managementfehlern und dem Absturz.

Im November 2001 stürzte eine Crossair-Maschine bei Basserstorf ab. 
Siggi Bucher, Reuters