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FDP und SVP greifen die integrative Schule im Aargau erneut an – so reagiert Mitte-Links

FDP-Grossrätin Sabina Freiermuth will zurück zur Kleinklasse. Nach der Niederlage im vergangenen Herbst reicht sie ihren Vorstoss zur Einführung sogenannter Förderklassen erneut ein. Ihre Gegnerinnen und Gegner reagieren mit einem Sperrfeuer kritischer Fragen.

Neues Parlament, neue Bildungsdirektorin, neuer Anlauf. Noch im vergangenen November war FDP-Grossrätin Sabina Freiermuth mit ihrem Angriff auf die integrative Schule krachend gescheitert. Der Grosse Rat lehnte ihre Motion letztlich deutlich ab.

In der Zwischenzeit haben sich die Vorzeichen verkehrt: Im Grossen Rat bilden SVP, FDP und EDU seit Anfang Jahr eine knappe Mehrheit. Mit Martina Bircher sitzt eine erklärte Gegnerin der integrativen Schule im Regierungsrat. Und so witterte Freiermuth Morgenluft. Ende April reichte die FDP-Kantonalpräsidentin ihre Motion erneut ein.

Erklärte Gegnerin der integrativen Schule: FDP-Kantonalpräsidentin Sabina Freiermuth fordert die flächendeckende Einführung sogenannter Förderklassen.
Bild: Andrea Zahler

Ihre Forderung ist weitgehend die gleiche: Separation statt Integration. Lernschwache oder verhaltensauffällige Kinder sollen ausserhalb der Regelklasse in sogenannten Förderklassen unterrichtet werden. Davon würden gemäss Freiermuth letztlich alle profitieren: Die betroffenen Kinder, jene in der Regelklasse, die Lehrpersonen. Förderklassen, so die FDPlerin, würden den Bedürfnissen der betroffenen Kinder gerechter als in den regulären Klassen.

Eine zweite Motion der SVP verlangt im Grunde das Gleiche. Grossrat Stephan Müller fordert die Einführung regionaler Förderklassen bereits ab dem Schuljahr 2025/2026 in Form von Pilotklassen. Eine lange Prüf- oder Konzeptphase möchte er indes nicht. Das Bildungsdepartement habe über genügend Fachwissen, um darauf verzichten zu können.

Ein Sperrfeuer aus Fragen

Freiermuth hat ihre Neulancierung perfekt inszeniert. Noch vor dem offiziellen Einreichen im Parlament präsentierte sie ihre Motion bereits in verschiedenen Medien. So, dass die neue Bildungsdirektorin Martina Bircher anlässlich ihrer 100-Tage-Bilanz auf die Forderung eingehen konnte. Zumindest rudimentär.

Vielleicht auch wegen dieser medialen Aufmerksamkeit haben Freiermuths Gegner nun eine Interpellation zum erneuten Angriff auf die integrative Schule eingereicht. Mit den Fragen in dieser Art eines Vorstosses verfolgen Parlamentarierinnen und Parlamentarier oft verschiedene Ziele: Sie verlangen Informationen, schaffen Transparenz oder kontrollieren die Regierung. Nicht selten geht es aber auch darum, Aufmerksamkeit zu erreichen.

So vielleicht auch in diesem Fall. Am selben Tag wie Freiermuth ihre Motion reichen zahlreiche Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker von Mitte-Links ihre Interpellation ein. Es ist ein Vorstoss wie ein Sperrfeuer aus Fragen. 33 sind es insgesamt, kritisch, nicht selten ungläubig. Aus ihrer Sicht stellten sich grundlegende finanzielle, personelle und strukturelle Fragen, schreiben die Ratsmitglieder unter der Ägide von Mitte-Grossrat und Schulleiter Jürg Baur.

Befürworter der integrativen Schule: Mitte-Grossrat Jürg Baur spricht sich gegen Förderklassen aus.
Bild: Severin Bigler

So haben sie ihre Fragen nach verschiedenen Themen gebündelt. Die flächendeckende Einführung von Förderklassen erfordert aus ihrer Sicht mehr Schulraum («Wie und wo soll dieser geschaffen werden?»), mehr Lehrkräfte («Ist genügend Lehrpersonal für diese Klassen vorhanden? Woher wird rekrutiert?»), mehr Klassen («Von wie vielen zusätzlichen Klassen muss grob geschätzt ausgegangen werden?») und einen tieferen Betreuungsschlüssel («Von welcher Klassengrösse wird bei einer Förderklasse ausgegangen?»).

Ebenso befürchten sie Definitionsschwierigkeiten («Wie ist die Abgrenzung zu anderen speziell geführten Klassen wie Sonderschule, Kleinklasse?», Rechtsunsicherheit («Ist die Einteilung zum Rekurs berechtigt?») oder zusätzliche Kosten («Wie soll eine kostenneutrale Einführung umgesetzt werden?»).

An wen richten sich die Fragen?

Nicht selten fragt man sich, an wen sich die Fragen genau richten: An den Regierungsrat? An Freiermuth und Müller? An die Öffentlichkeit? So etwa gleich die erste Frage: «Welche Ziele mit welchem Mehrwert soll die flächendeckende Einführung von Förderklassen erfüllen?» Der Verwaltungsangestellte, der für den Regierungsrat antworten wird, dürfte die Antwort kaum kennen.

Bis wann die Antwort der Exekutive vorliegt und wann der Grosse Rat über die beiden Motionen abstimmen wird, steht noch aus. Klar ist: Trotz der Mehrheit der Ratsrechten könnte das Ergebnis knapp ausfallen. Drei Sitze mehr haben SVP, FDP und EDU als Mitte-Links. Im November in alter Zusammensetzung stimmten aber vier Abweichler der SVP gegen Freiermuths Motion und für die integrative Schule. Einer davon war Stephan Müller – der nun seinerseits Förderklassen fordert.