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Ausschreitungen bei Massenprotesten gegen Rentenreform – ist es das letzte grosse Aufbäumen?

Hunderttausende demonstrieren in Frankreich am 1. Mai gegen die Rentenreform von Präsident Macron. Wie befürchtet kommt es auch zu Ausschreitungen. Die Frage aber ist: Sind dies die letzten grossen Proteste gegen die Reform?

In Frankreich haben Hunderttausende Menschen am 1. Mai gegen die weiter umstrittene Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron demonstriert, wobei es vielfach zu Ausschreitungen kam. In Paris und anderen Grossstädten gab es Festnahmen und Verletzte, die Polizei setzte Tränengas ein. Demonstranten setzten Autos und Mülltonnen in Brand und warfen Scheiben von Banken und Geschäften ein.

Die Gewerkschaften hatten in Grossstädten und kleineren Orten zu über 300 Kundgebungen aufgerufen. Die Behörden sprachen am Abend von landesweit 782’000 Teilnehmern, davon alleine 112’000 in Paris. Nach Gewerkschaftsangaben waren es 2,3 Millionen Menschen.

Die überwiegende Mehrheit der Demonstranten sei natürlich friedlich geblieben, sagte Innenminister Gérald Darmanin. Aber vor allem in Paris, Lyon und Nantes seien die Ordnungskräfte extrem gewalttätigen Randalierern gegenübergestanden, die mit einem Ziel gekommen seien: Polizisten zu töten und das Eigentum anderer anzugreifen. In Paris sei ein Polizist schwer verletzt worden, er habe Verbrennungen durch einen Molotowcocktail erlitten. «Diese Gewalt ist vorbehaltlos zu verurteilen.» Videobilder aus verschiedenen Städten zeigten massive Sachbeschädigungen.

Landesweit gab es bis zum späten Nachmittag 180 Festnahmen, 53 davon in Paris, berichtete der Sender BFMTV unter Verweis auf die Behörden. In Lyon seien 16 Polizisten und 6 Demonstranten verletzt worden. In der Hauptstadt und weiteren Grossstädten setzte die Polizei erstmals Drohnen zur Überwachung der Lage ein.

Es geht auch friedlich: Eine Demonstration gegen die Rentenreform mit Fahnen und Banner in Paris.
Christophe Petit Tesson / EPA

Die letzten landesweiten Proteste gegen die Rentenreform hatte es vor zwei Wochen gegeben, nachdem Macron die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre offiziell in Kraft gesetzt hatte. Für Unmut sorgt weiterhin, dass die Regierung die Reform ohne Abstimmung im Parlament unter Nutzung eines Sonderparagrafen durchdrückte. Üblicherweise kommen zu Kundgebungen am 1. Mai in Frankreich landesweit zwischen 100’000 und 160’000 Menschen zusammen. Nun aber hatten die Gewerkschaften den 1. Mai zu einem neuerlichen Protesttag gegen die Reform des Präsidenten erklärt.

Macrons Mitte-Regierung würde die inzwischen beschlossene Rentenreform am liebsten als abgehakt betrachten, die Gewerkschaften und Teile der Opposition protestieren aber weiter, um deren Umsetzung ab 1. September zu verhindern.

Die Frage ist nun, ob die Demonstrationen am 1. Mai die letzten grossen Kundgebungen gegen die Rentenreform sein werden. Zuvor bereits waren die Teilnehmerzahlen rückläufig, und auch ein Aufbrechen der gemeinsamen Front der Gewerkschaften zeichnet sich ab. Erstmals seit Jahren hatten die grossen Gewerkschaften nämlich im Kampf gegen die Reform den Schulterschluss geübt. Bei der Frage, ob und wann man nun wieder auf Dialogangebote der Regierung eingeht, zeichnet sich aber ein unterschiedlicher Kurs ab.

Macron und seine Regierung setzen auf eine Beruhigung der Lage und wollen möglichst schnell zu anderen Themen übergehen. Um wieder mehr Vertrauen in der Bevölkerung zu gewinnen, stellte Premierministerin Élisabeth Borne am Mittwoch ein 100-Tage-Programm mit Verbesserungsschritten in Bereichen wie Bildung, Gesundheit und Innerer Sicherheit vor. Wie schon bei der Rentenreform steckt die Regierung aber in der Klemme, da sie im Parlament seit den Wahlen im vergangenen Sommer nicht mehr über eine absolute Mehrheit verfügt. Ein neues Migrationsgesetz verschob Borne darum auf den Herbst. (dpa)