
Jede fünfte Aargauer Gemeinde hat eine Frau an der Spitze – jetzt werden sie geehrt
«Wären die Frauen 1916 nicht so mutig gewesen, könnten wir diesen Preis heute nicht auszahlen», betont Pia Viel. Die Präsidentin des Aargauischen Katholischen Frauenbunds (AKF) erinnert an jene Pionierinnen, die dafür gekämpft haben, dass 1922 in Davos das Lungensanatorium Sanitas eröffnet werden konnte.
Damals, als die Tuberkulose ganze Familien dahinraffte und es kaum Hoffnung auf Heilung gab, wandten sich zwei Frauen des Aargauischen Frauenbunds an katholische Kreise anderer Kantone. Ihre Idee: ein katholisches Sanatorium im Hochgebirge, das Lungenkranken eine Genesung ermöglicht.
1990 wurde das Sanatorium verkauft. Mit seinem Teil des Erlöses zeichnet der Frauenbund jedes Jahr Frauen oder Organisationen im Aargau mit 20’000 Franken aus, die sich für das Wohl von Frauen, Kindern und Familien einsetzen. Heuer wird diese Preisverleihung speziell ausfallen. Auf der Bühne im Casino Bremgarten werden am 17. August gut 60 Frauen geehrt, die sich das Preisgeld teilen. Dieses geht 2025 an alle Frauen, die im Aargau einer Gemeinde als Ammann oder Vizeammann vorstehen.
Gemeinderäte werden mehrheitlich von Männern geführt
Wie 1915 die Pionierinnen des Sanatoriums brauchte wohl auch Anni Lanz aus Fahrwangen eine grosse Portion Mut, als sie 1984 kandidierte und zur ersten Frau Gemeindeammann im Aargau gewählt wurde. Heute ist es zwar keine Besonderheit mehr, wenn ein Gemeinderat von einer Frau geführt wird – aber nach wie vor eine Ausnahme.
Denn 156 von 197 Aargauer Gemeinden haben derzeit einen Mann an der Spitze. In 25 Dörfern und Städten sitzt gar keine Frau in der Exekutive. Die anstehenden kommunalen Gesamterneuerungswahlen werden zusätzlich der einen oder anderen Gemeinde- oder Stadträtin den Sitz kosten. So wurde Zofingens Stadtpräsidentin Christiane Guyer im Mai abgewählt, am 28. September wird ihre Nachfolge bestimmt. Bereits jetzt ist klar: Es wird ein Mann.
Dennoch haben im Aargau 41 Gemeinden eine Präsidentin oder eine Frau Ammann, in 56 ist eine Frau Vizeammann/Vizepräsidentin im Amt. In 7 Gemeinden – Auw, Berikon, Leibstadt, Oberentfelden, Staufen, Vordemwald und Windisch – sind sowohl Ammann als auch Vize weiblich. Und genau diese Politikerinnen möchte der Katholische Frauenbund nun ehren. «Wir haben uns überlegt, dass man immer von den National- oder den Grossrätinnen spricht. Gemeinderätinnen hingegen werden selten gewürdigt», erklärt Pia Viel.
Dabei seien sie besonders nahe an der Bevölkerung und würden sich tagtäglich für die Gemeinden einsetzen. «Ihnen wollen wir in diesem Jahr Danke sagen, ihr politisches Engagement hervorheben und andere Frauen ermutigen, sich für ein solches Amt zur Wahl zu stellen», fasst Viel zusammen.
Rund 60 Frauen werden gewürdigt
Weil sie nicht eine regionale Politikerin herauspicken, aber auch nicht alle rund 320 Aargauer Gemeinderätinnen auszeichnen können, die derzeit im Amt sind, haben sich die Verantwortlichen für jene 97 entschieden, die einem solchen Gremium als Ammann oder Vizeammann vorstehen. 33 von ihnen haben zugesagt, an der Preisverleihung teilzunehmen. Etwa 30 weitere hätten sich abgemeldet – sie erhalten ein «Jurapark-Päckli» mit Aargau-typischem Essen und ihrem Anteil des Preisgeldes zugeschickt. Wer nicht auf die Einladung reagierte, verzichtete damit auf den Preis.

Bild: Sandra Ardizzone (13. 6. 2023)
Wen die Preiskommission nominiert, richtet sich nach den jeweiligen jährlichen Themenschwerpunkten des Katholischen Frauenbundes. Im Hinblick auf die kommunalen Gesamterneuerungswahlen im Herbst war für die Verantwortlichen klar: 2025 soll jemand aus der regionalen Politik ausgezeichnet werden. «Im vergangenen Jahr hat die Pionierin Irene Gassmann den Preis erhalten, nächstes Jahr wird vielleicht wieder eine Institution ausgezeichnet», sagt Viel.