
Folgt nach dem Sommermärchen die Trennung? So geht es im Vertragspoker mit Pia Sundhage weiter
Nach der EM ist vor der WM. Das 0:2 unserer Nati im Viertelfinal gegen Spanien führte zwar zu einem Euphorie-Kurzschluss – aber halt wirklich nur ganz kurz. Denn andere Bilder und Geschichten waren prägender als die Enttäuschung über den ausgebliebenen Coup gegen die hochfavorisierten Weltmeisterinnen. Die fantastische Stimmung in den Stadien, die Fanmärsche, das Fieber und die Identifikation der Bevölkerung mit der Nati – es war ein wunderbarer Sommer auf einer Welle der Glückseligkeit.
Doch jede Welle ebbt mal ab. Auf den Frauenfussball bezogen muss es das Ziel sein, eine nächste Welle zu kreieren. Und das geht ausschliesslich über die Nationalmannschaft. Nur wenn sich die Frauen-Nati regelmässig für eine Endrunde qualifiziert, kann man verhindern, dass der Schub der Heim-EM nicht komplett abflacht. Andernfalls droht ein Rückfall in Zeiten, als das Interesse gering war und man die Heimspiele in kleineren Stadien austrug, damit es wenigstens ein bisschen nach etwas Grossem aussah.
Nur, der Weg an die WM ist beschwerlich. Lediglich 11,5 Plätze (es gibt ein konföderationsübergreifendes Playoff) stehen Europa für das Turnier in Brasilien zur Verfügung. Und noch ist nicht klar, mit welchem Trainer oder welcher Trainerin man im Frühling in die Qualifikation starten will.
Sundhage wird gefeiert, hat aber keine Wunderdinge vollbracht
Pia Sundhage, unmittelbar vor der EM wegen harter Trainings, der ungelösten Torhüterfrage und des Spielsystems in der Kritik, hat an der EM ihren Job erfüllt. Das Ziel (Viertelfinal) wurde erreicht. Ausserdem hat die 65-jährige Schwedin mit ihrer unaufgeregten, nahbaren und bodenständigen Art gepunktet. Sie demonstrierte in den richtigen Momenten Lockerheit oder Ernsthaftigkeit. Kurz: Es war vom ersten EM-Tag an offensichtlich, dass die zweifache Olympiasiegerin nicht zum ersten Mal eine solche Mission leitet.

Bild: Martin Meissner / AP
In der öffentlichen Wahrnehmung vielleicht nur ein Detail, aber in der Beurteilung ihrer Arbeit doch nicht zu negieren: Taktisch, so ehrlich muss man sein, hat Sundhage keine Wunderdinge vollbracht. Im Startspiel gegen Norwegen beispielsweise wurde sie von ihrer Antipodin Gemma Grainger übertölpelt.
Relevant für die Beurteilung von Sundhages Wirken sind vor allem zwei Personen: Marion Daube, Direktorin des Schweizer Frauenfussballs (SFV), und der neue SFV-Präsident Peter Knäbel. Sie werden im September – eventuell mit anderen Leuten wie Sportkoordinator Johan Djourou – die Strategie für die Frauen-Nati festlegen. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Trainerfrage.
Pia Sundhages Vertrag läuft noch bis Ende Jahr. Über ihre Zukunftspläne hat sie bisher nicht viel verraten. Einzig hat sie verlauten lassen, dass sie eine Vertragsverlängerung an eine Bedingung knüpfen würde. Sie will, dass ihre Assistenten, Lilie Persson und Anders Johansson, nicht mehr auf Mandatsbasis, sondern voll angestellt werden.
Beim Verband hat man das zur Kenntnis genommen. Aber man betont auch, dass es eine finanzielle Schmerzgrenze gebe. Oder anders formuliert: Man will das Geld, das man dank der EM eingenommen hat, eher in die Nachwuchs- und Breitensportförderung investieren als in den Stab des Nationalteams.
Zeitlich unter Druck fühlt man sich beim Verband nicht. Dieses Jahr finden nur noch Testländerspiele statt. So richtig zur Sache geht es dann erst im Frühling mit der Qualifikation für die WM 2027 in Brasilien. Es ist möglich, dass Sundhage ihren Vertrag erfüllt, man sich aber aus finanziellen Gründen nicht auf eine Vertragsverlängerung verständigen kann.
Wübbenhorst, Fischer oder Djourou?
Sollte Pia Sundhage nicht beim Schweizer Nationalteam bleiben, gibt es einige prominente Namen, die man für die Aufgabe gewinnen könnte. Zwar ist die WM-Qualifikation nach dem Schweizer Abstieg aus der Nations League schwierig, andererseits bietet das junge Schweizer Team spannende Perspektiven.

Bild: Claudio De Capitani / Freshfocus
Der erste Blick geht in die Super League und damit zu YB-Trainerin Imke Wübbenhorst. Die 36-jährige Deutsche wäre eine logische Nachfolgerin Sundhages. Mit den YB-Frauen holte sie in diesem Frühling den Schweizer Meistertitel, danach überzeugte sie während der Europameisterschaft am Mikrofon als ausgesprochen kompetente Co-Kommentatorin und Expertin. Wübbenhorst wurde im Oktober erstmals Mutter und gab im März ihr Comeback als Trainerin. Sie ist mit einem Schweizer verheiratet und fühlt sich in Bern mittlerweile heimisch.
Ebenfalls eine Kandidatin aus der Schweizer Super League ist Kim Kulig. Nachdem die ehemalige deutsche Nationalspielerin wegen Knieproblemen bereits 2015 mit 25 Jahren ihre Karriere beenden musste, schlug sie den Weg als Trainerin ein, zunächst bei den Reserven von Eintracht Frankfurt und als Assistentin beim VfL Wolfsburg. Seit 2023 leitet sie die Geschicke des FC Basel, wo sie aber noch auf den grossen Coup wartet. In der letztjährigen Saison scheiterten die Baslerinnen im Playoff im Halbfinal an GC, den Cupfinal verloren sie gegen den FC Zürich.
Die dritte Kandidatin aus der Super League heisst Marisa Wunderlin. Die ehemalige Trainerin des FC St.Gallen ist im Sommer zurückgetreten, weil sie sich Freiräume suchen wolle, um auch an strukturellen Themen zur Entwicklung des Frauenfussballs zu arbeiten. Als Nationaltrainerin hätte sie auf solche Themen einen direkten Einfluss. Zudem war Wunderlin unter Nils Nielsen bereits Assistenztrainerin der Nati und kennt deshalb den Schweizer Verband bestens.

Bild: Alessandra Tarantino / AP
Ebenfalls eine Rückkehr wäre es für Martina Voss-Tecklenburg. Von 2012 bis 2018 war sie Schweizer Nationaltrainerin und sorgte für grosse Erfolge. 2015 nahmen die Schweizerinnen unter ihr erstmals an einer WM-Endrunde teil, zwei Jahre später erstmals an einer EM. Danach verliess die 57-Jährige die Schweiz im Guten und wechselte nach Deutschland. Dort war sie bis zur WM 2023 Nationaltrainerin. Nachdem die Endrunde enttäuschend verlief, wurde publik, dass Voss-Tecklenburg an einem Burnout erkrankt ist. Seither mied sie die Öffentlichkeit, ehe sie diesen Sommer wieder ins Rampenlicht zurückkehrte. Ihre souveränen Auftritte als Expertin im Schweizer Fernsehen wirkten zuweilen wie eine Bewerbung für den Job als Nationaltrainerin. In einer Podiumsdiskussion in Zürich sagte sie auf die Frage des Moderators Bänz Friedli, ob sie wieder Nationaltrainerin werden möchte: «Mit mir kann man über alles reden.»
Ein komplett anderer Kandidat wäre Urs Fischer. Der einstige Meistertrainer des FC Basel und erfolgreiche Coach bei Union Berlin in der Bundesliga ist seit November 2023 ohne Verein. Zuletzt machte er von sich reden, weil er einen Wandel im Frauenfussball forderte. Die Klubs sollen aus seiner Sicht mehr Geld in die Hand nehmen, um den Frauenfussball zu fördern. Urs Fischer hat einen engen Bezug, seine Tochter Riana spielte bis 2022 bei den FCZ-Frauen. In einem Gespräch mit dem «Tagesspiegel» sagt Fischer auf die Frage, ob er sich vorstellen könnte, auch mal ein Frauenteam zu coachen: «Ich hatte immer wieder mal Kontakt zu Frauenteams und ich würde es mal so formulieren: Sag niemals nie. Es ist vieles möglich.»

Bild: Salvatore Di Nolfi / Keystone
Ebenfalls eher aus dem Männerfussball bekannt ist Johan Djourou. Der ehemalige Schweizer Nationalspieler ist jedoch seit einem Jahr Sportkoordinator des Frauen-Nationalteams. Ursprünglich kam der Kontakt für diese Rolle zustande, weil sich der ehemalige Innenverteidiger um den Job als Nationaltrainer beworben hatte. Dank seiner drei Töchter hat Djourou den Weg in den Frauenfussball gefunden, sie trainiert er bei einem 3.-Liga-Team in Genf. Zu den Nationalspielerinnen hat Djourou einen hervorragenden Draht, er wurde so zur Vertrauensperson.
Oder international? Tomé, Grainger, Jonker
Es ist auch gut möglich, dass sich der SFV international umschaut. Dabei gibt es gleich mehrere Trainerinnen und Trainer, die an der EM schon an der Seitenlinie standen. Die prominenteste Kandidatin heisst Montserrat Tomé. Sie war die erste Frau, die das spanische Nationalteam trainierte und führte es in den EM-Final. Zwei Wochen später musste sie gehen und wäre somit verfügbar. Dennoch gilt ihre Wahl als äusserst unrealistisch, da Tomé bei den Spielerinnen keinen guten Ruf geniesst.
Deutlich beliebter ist Gemma Grainger. Zunächst formte die 43-jährige Engländerin aus Wales ein konkurrenzfähiges Team, ehe sie von Norwegen abgeworben wurde. Dort ist sie nach dem Viertelfinal-Aus gegen Italien an der letzten EM alles andere als unumstritten.
Ähnlich gilt die Ausgangslage beim niederländischen Ex-Nationaltrainer Andries Jonker. Schon vor dem Turnier war klar, dass der 62-Jährige nach dem Turnier Abschied nehmen wird. In der Hammergruppe mit Frankreich und England war schon in der Gruppenphase Schluss. Dennoch wäre der Name des erfahrenen Niederländers nicht uninteressant. Er war unter anderem Assistenztrainer von Louis van Gaal beim FC Barcelona und bei Bayern München.
Bevor sich der Schweizerische Fussballverband jedoch mit diesen Namen beschäftigt, gilt es, eine Entscheidung bezüglich Pia Sundhage zu fällen.