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Künstliche Intelligenz verspricht vieles, aber: Wann werden Algorithmen tödlich?

Susan Boos, die Präsidentin des Schweizer Presserats zeigt in ihrem Kommentar, wie künstliche Intelligenz Freude aber auch Unheil bringen kann. Es gebe bereits viele Beispiele, die zeigen, dass es wenig braucht, bis Algorithmen eine tödliche Dynamik entwickeln - nur dass danach niemand verantwortlich ist.

ChatGPT hat etwas von einem Mähroboter – beide sind omnipräsent. Inzwischen muss man wohl niemandem mehr erklären, was es mit dieser sogenannten künstlichen Intelligenz (KI) auf sich hat, die uns angeblich das Schreiben und Denken abnehmen kann. Das Thema ChatGPT und Co mag einen schon mehr als langweilen. Und dennoch muss es uns umtreiben, was diese KI-Werkzeuge mit der Welt anstellen. Jede Entwicklung, die neu am digitalen Firmament aufgeht, hat das Potenzial, Menschen zu erfreuen, aber auch zu töten.

Nehmen wir Facebook; das sogenannte soziale Netzwerk startete vor zwanzig Jahren mit dem liebenswerten Versprechen, für «eine offene und vernetzte Welt» einzustehen. In Myanmar wandelte es sich zu einem grausamen Propaganda-Instrument. Die muslimische Minderheit der Rohingya war brutal verfolgt und ermordet worden, Tausende mussten fliehen. Die Regierung hatte gegen sie gehetzt, und Facebooks Programme pushten die Regierungsposts bevorzugt.

Die Facebook-Mutterfirma Meta habe gewusst, welche Rolle die Algorithmen von Facebook bei der Verfolgung der Rohingya gespielt hätten, konstatiert Amnesty International in einem Report: «Trotz dieses Wissens blieb das Unternehmen untätig.» Mehrere Klagen der Rohin­gyas gegen Meta sind hängig. Vermutlich werden die Gerichte Meta schützen. Ein Menetekel: Es braucht wenig, dass Algorithmen eine tödliche Dynamik entwickeln – doch niemand ist danach verantwortlich.

Grausame Propaganda ist nicht neu. Die Nazis nutzten das Radio, um Menschen gegen Menschen aufzuhetzen. Buch und Zeitung liessen sich von jeher zur Propaganda nutzen. Jede neue Kulturtechnik birgt grosse Versprechen, irgendwann folgt die Ernüchterung, weil jede Erfindung Böses anrichten kann. Und wenn Böses angerichtet werden kann, wird es irgendwo auf Erden auch geschehen.

Jede neue Technik muss eingehegt und zivilisiert werden, dazu braucht es Regeln. Vielerorts wird nachgedacht, wie jene für die künstliche Intelligenz aussehen müssten. Noch tastet man im Nebel. Verbieten wäre verlockend, aber auch illusorisch. Da kommt der Mähroboter ins Spiel, der sich auch nicht mehr abschaffen lässt. Das schnurrende Wägelchen ist zu praktisch. Dass die Dinger Insekten oder Amphibien töten oder jungen Igeln Beine amputieren, gehört dazu.

Kollateralschäden der Moderne, es gibt kein richtiges Leben im falschen, wie der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno so schön sagte. Leute, die sich dessen gewahr sind, werden einen achtsamen Mähroboter kaufen, der Igel schont. Was bleibt, ist der ebenmässige Rasen, den ein boshafter Umweltschützer «grünen Beton» nannte – mit einer Biodiversität von gefühlt minus eins.

Wikipedia drückt es gebildeter aus: «Die ökologische Bedeutung der in deutschen Gärten dominierenden Rasenflächen ist ausgesprochen gering. In einem getrimmten Rasen kommen höchstens ein Dutzend Gräser auf einen Quadratmeter vor. Diese bieten den allermeisten Insekten und Tieren keinen Lebensraum. Ein Quadratmeter einer blütenreichen Wiese hingegen kann bis zu 3000 Einzelpflanzen mit sechzig Pflanzenarten beherbergen, die einen wertvollen Lebensraum für zahlreiche Insekten bilden.»

Dasselbe kann man über Texte sagen, die von Schreibrobotern verfasst wurden – ihnen fehlt die Diversität. Abgesehen davon, dass man meist nicht weiss, welche Quellen benutzt und welche Sätze halluziniert wurden: Die Texte klingen langweilig – wie englischer Rasen eben. Golfer oder Fussballerinnen dürften solche Rasen lieben, das pralle Leben findet darin jedoch nicht statt. Wie bei Texten: Wer das pralle Leben haben will, muss Menschen an die Buchstaben ranlassen. Damit sind die Schreibroboter aber noch nicht eingehegt. Noch wissen wir nicht, welches ihr Rohingya-Moment sein wird.