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S Grosi als «Es»: So geht der korrekte Umgang mit der Sprache

Fürsorge darf nicht versächlicht werden. Nicht nur wegen der Grossmütter, sondern auch deshalb, weil Fürsorge männlicher werden muss.

Der ehemalige Bundesrat Ueli Maurer hat Kim de l’Horizon – die nonbinäre Literatursensation des Jahres 2022 – mit dem Wörtchen «Es» brüskiert. Ihm sei egal, sagte Maurer, ob auf ihn ein Mann oder eine Frau im Bundesrat folge. «Solange es kein ‹Es› ist, geht es ja noch.» Kim hat diesen Satz als verletzend und als sprachlichen Machtübergriff empfunden.

Der mediale Aufschrei war riesig, das Echo mehr als gespalten. Die einen waren überzeugt, Ueli Maurer habe sich mit dieser Aussage angesichts des Leids vieler nichtbinärer Personen total disqualifiziert. So what?, fragten die anderen, haben wir eigentlich keine grösseren Probleme als dieses «Es»? Namen sind doch Schall und Rauch – das hat schon Goethe gesagt.

Das «Grosi-Es» kommt im Schweizer Dialekt häufig zur Anwendung. Wäre ich Grossmutter, hätte ich Freude, wenn mich die Enkel «s Grosi» oder «s Omi» nennen würden. Das tönt warm und kuschelig. Doch etwas anderes ist es, wenn Medien und viele Kommentare in den Social-Media-Kanälen Grossmütter versächlichen. Das gilt ausschliesslich für Frauen – nie für Männer.

Wenn in einer Gratiszeitung steht «Ein 59-jähriges Grosi fuhr in einen Baum» oder in einem Stelleninserat im Shoppingcenter zu lesen ist, es werde ein «akademisch ausgebildetes Grosi gesucht, noch nicht sechzig Jahre alt», das ein paar Stunden die Kinder hüten und sich so ein Sackgeld verdienen könne – dann bin ich solchem Gendern gegenüber mehr als kritisch eingestellt.

Läuft hier nicht etwas falsch? «s Grosi» widerspiegelt das Wirken heutiger Grossmütter kaum, auch wenn das «Es» im Privaten durchaus seine Berechtigung hat. Grossmütter sind für die Betreuung des Nachwuchses zentral. Viele dieser Frauen sind relativ jung, neugierig, fit und weltoffen. Mit beiden Beinen stehen sie im Leben, unabhängig davon, ob sie verheiratet, geschieden, alleinstehend oder frisch verliebt sind. Sie hüten ihre Enkel regelmässig, wenn Mama oder Papa berufstätig sind oder erkranken, und springen bei einer Trennung oder bei anderen Problemen fast selbstverständlich ein.

Auch Zahlen aus der Forschung sprechen gegen das verniedlichende Grosi-Image. Grossmütter sind die wichtigste Reservearmee unserer Volkswirtschaft, wenn es um Fürsorge geht. Sie sind nicht nur für Kinder und Enkelkinder da, sondern oft ebenso für die eigenen Eltern und Verwandte, oder sie engagieren sich im Freiwilligendienst. Mit anderen Worten: Dieses «Es» leistet durchschnittlich 40 Millionen Stunden Betreuung pro Jahr, was einem finanziellen Wert von etwa zwei Milliarden Franken entspricht – in den meisten Fällen unentgeltlich.

Der von Ueli Maurer und Kim de l’Horizon lancierte Diskurs ist zu wichtig, als dass er einfach wieder in einer Schublade verschwindet. Denn er betrifft auch Personengruppen jenseits nichtbinärer Minderheiten. Vielleicht sollten wir etwas seltener über Gendersternchen und Doppelpunkte diskutieren, doch öfter über Menschen, die eigentlich gemeint sind. Ich wünschte mir, dass ältere Frauen in Medien und Familienpolitik nicht als geschlechtslose Wesen betrachtet und mit verniedlichenden Stereotypen belegt werden. Im familiären Raum darf «s Grosi» (und auch s Mami, s Gotti etc.) eine liebevolle Koseform mit Tradition bleiben. Doch mit Blick auf die öffentliche Darstellung sollten sie als die Oma, die Grossmutter oder die Mama porträtiert werden. Diese Frauen sind für die Zukunft von Kindern und die Pflege anderer Menschen zentral und von enormer ökonomischer Bedeutung.

Fürsorge darf nicht versächlicht werden. Nicht nur wegen der Grossmütter, sondern auch deshalb, weil Fürsorge männlicher werden muss. Tatsache ist, dass Grossväter kontinuierlich aufholen und bisher unterschätzt worden sind. Doch in den Medien als «s Grossväterli» bezeichnet zu werden? Mit Sicherheit wäre das für manche Männer ein Skandal.