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Römischer Grossbau entdeckt: Jetzt werden Rettungsgrabungen durchgeführt

Im Steinacher-Gebiet an der Limmat befand sich eine römische Siedlung, die deutlich grösser war als lange Zeit angenommen. Bevor die Überreste für eine Wohnsiedlung zerstört werden, führt die Kantonsarchäologie Grossgrabungen durch.

Dass sich einst Römer im heutigen Gebenstorfer Gebiet Steinacher aufhielten, ist schon lange bekannt. Erste Funde gab es im 17. Jahrhundert, und 1856 kamen beim Bau einer Bahnlinie Gräber von römischen Legionären zum Vorschein. Dass sich auf dem Areal an der Limmat aber gar eine römische Grosssiedlung befand, wusste man bis vor kurzem nicht.

Seit April führt die Kantonsarchäologie auf dem Areal Rettungsgrabungen durch. Grund für den Start der Arbeiten: Die Baubewilligung für das Neubauprojekt einer Wohnüberbauung mit Tiefgarage ist rechtskräftig. Und bevor die Überreste der römischen Siedlung verschwinden, werden sie untersucht und dokumentiert.

Erik Marin, Leiter der «Grossgrabung», wie das Projekt in einer Mitteilung des Kantons genannt wird, sagt auf Anfrage: «Wie gross die Anlage tatsächlich ist, weiss man erst seit 2019.» Als klar wurde, dass das Areal dereinst überbaut werden könnte, wurde mittels Geophysik festgestellt, dass sich diverse Mauern im Boden befinden. Und schon beim Voraushub im Vorfeld der geplanten Grabung waren auf der Bauparzelle zwischen Limmatstrasse und Vogelsangstrasse erste Mauerfundamente und römischer Bauschutt sowie einzelne Funde zutage gekommen.

Die römische Siedlung befand sich direkt an der Limmat (linke mittlere Bildhälfte). 
Bild: zvg/Kantonsarchäologie

Gebenstorf war aus archäologischer Sicht lange Zeit ein blinder Fleck. Das ändert sich nun mit der Grossgrabung schlagartig. Klar ist schon jetzt, bevor die eigentlichen Untersuchungen beginnen: Es handelte sich um eine ausgedehnte römische Siedlungsstelle. Untersucht wird nun, worum es sich genau handelte. Erste Vermutungen werden bereits gemacht.

Die Mauern eines grossen Steinbaus mit vorspringenden Strebepfeiler- und Pilasterfundamenten wiesen möglicherweise auf einen Speicher oder ein Magazin hin, heisst es in der Mitteilung der Kantonsarchäologie. «Denkbar ist aber auch ein Monumentalbau mit administrativer Funktion.» Amphorenscherben, die gefunden wurden, weisen am ehesten auf eine Art Umladestation unmittelbar südlich der Limmat hin.

Die Erdarbeiten betreffen eine archäologisch relevante Fläche von 3200 Quadratmetern. Unmittelbar westlich der betroffenen Parzelle lag vor 2000 Jahren ein antiker Friedhof mit Grabsteinen von in Vindonissa stationierten Soldaten. Der Komplex ist laut Kantonsarchäologie von grosser Bedeutung, weil er Antworten liefert zum Verhältnis des Militärlagers Vindonissa und zu seinem Umland.

Wie ähnliche Konstellationen im Römischen Reich zeigten, wurden Siedlung und Gräberfeld von Gebenstorf in einem offenbar rechtlich verbindlichen Abstand – lateinisch: «extra leugam» – zum zugehörigen Garnisonsort Vindonissa angelegt. «Die Leuge ist eine römische Meile, entspricht 2,22 Kilometern und damit genau dem Abstand zwischen dem Legionslager und der Siedlungsstelle in Gebenstorf», heisst es in der Mitteilung.

Die Archäologie erhofft sich wichtige Erkenntnisse. Der Komplex der «Plansiedlung» in Gebenstorf sei von grosser Bedeutung, da hier auf weitgehend ungestörtem Areal noch wesentliche Aussagen zur in der internationalen Forschung intensiv diskutierten Frage nach dem Verhältnis zwischen römischen Militärlagern und ihren Zivilsiedlungen gewonnen werden könnten. «Die Resultate der Ausgrabung werden im weiteren Verlauf der Untersuchung mit Grabungsführungen vermittelt. Man darf gespannt sein auf die kommenden Wochen», teilt die Kantonsarchäologie mit.

Die Rettungsgrabung findet in zwei Etappen von April bis November 2024 und März bis Mai 2025 statt. Der Bauperimeter wird bereits Anfang Juni 2025 für den Neubau freigegeben, der Westteil sogar schon im Herbst 2024.