Sie sind hier: Home > Aargau > Der Druck steigt jedes Jahr: Wie können Gemeinden mehr und besser zusammenarbeiten?

Der Druck steigt jedes Jahr: Wie können Gemeinden mehr und besser zusammenarbeiten?

Die diesjährige Gemeindetagung hat einen Nerv getroffen, wohl wegen der immer grösser werdenden Herausforderungen in den Gemeinden. Was sind die Folgen für die Kommunen?

Gemeinden kommen immer mehr unter Druck. Ihre Aufgaben nehmen zu, werden komplexer. Die Folge sind mehr interkommunale Zusammenarbeit, etwa mit Abwasserverbänden, Zivilschutzorganisationen, Schulen, Spitex etcetera.

An der diesjährigen Gemeindetagung wollte der Kanton jetzt mit Referenten aus verschiedenen Bereichen ausloten, «ob diese Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden weiter verbessert werden kann und ob in Zukunft vermehrt in sogenannten funktionalen Räumen gedacht werden muss, um die anstehenden Herausforderungen zu meistern».

Mit dieser Fragestellung traf die Gemeindeabteilung des Kantons unter Leitung von Martin Süess eindeutig einen Nerv. Über 200 Gemeindevertreterinnen und -vertreter kamen dafür nach Aarau. Auf sie warteten Referate aus verschiedensten Perspektiven sowie vier Videosequenzen, in denen Frau Gemeindeammann Jeanine Glarner sowie Vertreterinnen und Vertreter eines Regionalwerks, einer regionalen Abwasserreinigungsanlage und einer regionalen Spitex-Organisation ihre Herausforderungen und Lösungen darlegen.

Neues Gemeindegesetz ist erst in der Anfangsphase

Volkswirtschaftsdirektor Dieter Egli als Gemeinde-Schirmherr freute sich sichtlich über das grosse Interesse und dankte den Gemeindevertretern für ihr Herzblut für die Gemeindepolitik und für ihr Kommen. Das Thema der Tagung sei allen bekannt und doch brauche es immer wieder Inputs und Diskussionen, um womöglich zusammen ein gemeinsames Bild weiterzuentwickeln zur Frage, wie die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden in den Regionen, aber auch zwischen den Gemeinden und dem Kanton aussehen soll.

Dieter Egli, Regierungsrat und Gemeinde-Schirmherr.
Bild: Alex Spichale

Egli wies bei dieser Gelegenheit auf die kürzlich angekündigte Totalrevision des Gemeindegesetzes hin. Das dauert aber noch etwas. Wie Martin später erläuterte, ist die öffentliche Anhörung für 2024 geplant, die Grossratsdebatte 2025/26, die Inkraftsetzung Anfang 2028 – sofern es kein Volksnein gibt. Vorschläge auch von Gemeindevertretern für die Revision liegen schon vor (vgl. Box).

Patrick Gosteli (SVP-Grossrat und Präsident der Gemeindeammännervereinigung) sowie die Grossräte sowie Stadt- oder Gemeindeammänner Hans-Peter Budmiger (GLP), Hanspeter Hilfiker (FDP), Daniel Mosimann (SP), Arsène Perroud (SP), Markus Schneider (Mitte) und Bruno Tüscher (FDP) haben im Kantonsparlament kürzlich ein Postulat eingereicht, mit dem sie die Regierung einladen, die Stärken und Schwächen der heutigen Strukturen des Kantons zu untersuchen. Zudem seien die aktuellen Entwicklungen der Strukturen zu funktionalen Räumen und zur Regionalisierung in den verschiedenen Aufgabenbereichen zu prüfen. Und es seien Überlegungen zu Veränderungen der heutigen Strukturen hin zu einer modernen Grundstruktur des Kantons anzustellen. Damit verbunden könnten auch Minimalanforderungen und/oder Anreizsysteme sein. Weil regionale Lösungen der Gemeinden immer weniger den Bezirksstrukturen entsprechen, sei zu prüfen, «ob die heutigen Bezirke, welche ausser bei der Gerichtsbarkeit und als Wahlkreise keine Bedeutung mehr haben, noch zeitgemäss sind».

Die Regierung antwortet, es scheine gerechtfertigt, die Frage zu stellen, mit welchen Gemeindestrukturen die wachsenden Herausforderungen noch bewältigt werden können. Die Prüfung dieses Themas sei bisher «nicht explizit Teil der laufenden Totalrevision». Sie fragt sich aber, ob der politische Wille, die Gemeindestrukturen aktiv anzugehen, überhaupt vorhanden ist. Sie ist aber bereit, einen Bericht mit einer grossen Auslegeordnung zu erstellen. Und sie weist darauf hin, dass eine allfällige Anpassung der Bezirksstrukturen einer Verfassungsänderung bedürfte. (MKU)

Dozent Markus Gmünder von der Hochschule Luzern zeigte auf, wie der Druck auf die Gemeinden etwa aufgrund des Standortwettbewerbs, abnehmendem Handlungs- und Gestaltungsspielraum oder von Rekrutierungsproblemen im Milizbereich zunimmt.

Hier fühlen sich Gemeinden am ehesten überfordert

Anhand des jüngsten Schweizerischen Gemeindemonitorings zeigte er, wo sich Gemeinden gefordert oder überfordert fühlen: Bei deutlich über 20 Prozent ist das bei der Raum- und Zonenplanung der Fall, und – mit abnehmenden Prozentzahlen – bei Sozialhilfe, Gemeindeexekutive, Informatik, Baugesuchen, Finanzverwaltung.

So gibt es bereits viel interkommunale Zusammenarbeit, sogar bei fast 70 Prozent bei der Spitex, gefolgt von Feuerwehr, Alters- und Pflegeheimen sowie anderen Bereichen. Erstaunlicherweise gibt es dies bei der Raum- und Zonenplanung erst bei etwas über 10 Prozent.

Beispiel Freiburg: Druck auf Gemeinden steigt Jahr für Jahr

Samuel Russier, Generalsekretär der für die Gemeinden zuständigen Direktion des Kantons Freiburg, zeigte auf, in welche Richtung die Debatte bei ihnen geht. Im Kanton Freiburg ist die Zahl der Gemeinden von 283 im Jahr 1968 markant auf 126 gesunken. Dafür gibt es inzwischen 100 Gemeindeverbände, Tendenz steigend.

Freiburg steckt ebenfalls in einer Totalrevision des Gemeindegesetzes, scheint aber klar weiter gehen zu wollen als der Aargau. Das Ganze läuft unter dem Projekt Governance der Regionen (mit eigener Website). Auf Nachfrage von Moderatorin Annette Kielholz bestätigte Russier, der Druck auf die Gemeinden steige Jahr für Jahr. Reformen seien nötig.

Michael Ganz vom Gesundheitsverband Aargau (Vaka) zeigte am Beispiel eines geplanten Zusammenschlusses von Spitex-Organisationen im Grossraum Aarau auf, was das bringen kann, woran man alles denken muss und wie wichtig es ist, sich bei diesem Prozess auf Augenhöhe zu begegnen.

Michael Ganz.
Bild: Alex Spichale

Blättler: Überregulierung und Pflästerlipolitik

Auf ihn folgte Markus Blättler, Präsident des Verbandes Aargauischer Energieversorger (VAS). Er glaubt, dass Gemeinderäte ihr Gemeindewerk trotz immer komplexerer Aufgabenstellungen noch selbst führen können – mit mehreren grossen Aber: Fachkompetenz sei unerlässlich, und es brauche Unterstützung, etwa via Kooperation. Die Verantwortung müsse auf mehrere Personen abgestützt werden.

Markus Blättler.
Bild: Alex Spichale

Blättler setzt hier auf mehr Zusammenarbeit der Regionen und kritisiert den Bund, dem er kostentreibende Überregulierung und Pflästerlipolitik im Strombereich vorwirft.