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Was den Hass aufs Gendern mit dem Fremdenhass verbindet

Der Rat für Rechtschreibung spricht sich weiter gegen die Genderstern-Pflicht aus. Aber damit ist die Debatte nicht vom Tisch.

Viele erhofften sich einen verbindlichen Beschluss vom Rat für deutsche Rechtschreibung, dem 18 Mitglieder aus Deutschland, je neun aus Österreich und der Schweiz angehören. Doch der Rat, in Genderdingen so zerstritten wie der Rest der Gesellschaft, lässt vorerst alles beim Alten und damit chaotisch ungeregelt.

Das heisst: Unsicherheit und Ungerechtigkeiten bleiben bestehen: An der einen Hochschule müssen Studierende gendern, um keinen Punktabzug zu riskieren, an der anderen werden sie bestraft, wenn sie Gendersternchen einsetzen, weil ihr Professor auf strikte Einhaltung der Rechtschreibregeln pocht.

Immerhin ignoriert der Rechtschreibrat nicht länger die Existenz von Gendersternchen oder anderer Wortbinnenzeichen, sondern empfiehlt, sie künftig im amtlichen Regelwerk als «Sonderzeichen» zu behandeln. Um gleich einschränkend anzufügen, dass diese Sonderzeichen «nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie» gehören sollen.

Bald dürfte sich der Doppelpunkt als Genderzeichen durchsetzen

Seither rätseln Fachleute, was der Rechtschreibrat uns damit sagen will. Manche glauben, der Rat drücke sich zwar noch vor einem definitiven Entscheid, habe aber das Terrain geebnet, um bald eines der Genderzeichen – am ehesten den Doppelpunkt im Wortinneren – ins Regelwerk aufnehmen zu können. Dann dürften bevorzugt Schüler:innen einen Aufsatz schreiben, nicht mehr Schüler*innen, Schüler_innen oder einfach Schüler und Schülerinnen.

Allerdings spricht alles dafür, dass der Doppelpunkt als Wortbinnenzeichen nur als Kann-Regel eingeführt wird, da ein Genderzwang gegenwärtig weder politisch noch gesellschaftlich in den deutschsprachigen Ländern eine Chance hätte. Der Kulturkampf zwischen Sprachbewahrern und Genderturbos würde sich sonst zuspitzen und alle Beteiligten am Schluss nur noch Gendersternchen sehen.

Davon profitieren jetzt schon Rechtspopulisten, die jedes Gendern als «Elite-Jargon» verdammen. Dieser stifte «sozialen Unfrieden» und beschädige die verbindliche und verbindende deutsche Sprache. Sie wissen dabei eine Mehrheit der Bevölkerungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz hinter sich, die dem Gendern allgemein skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.

Ist Deutsch eine reine Männersprache?

Dabei ist es beim Hass aufs Gendern wie beim Fremdenhass, der bekanntlich dort auf den fruchtbarsten Boden fällt, wo es kaum Fremde gibt. Genauso verhält es sich bei den Hetzern gegen den «Genderwahnsinn» oder «Genderterror»: Jene, die am lautesten toben, haben in der Regel am wenigsten darunter zu leiden.

Sie halten sich ohnehin in genderfreien Zonen und Blasen auf und kommen kaum in Berührung mit den extremeren Gender-Zirkeln, die Deutsch nicht länger als «Männersprache» akzeptieren (den Ausdruck hat die deutsche Sprachwissenschafterin Luise F. Pusch schon Mitte der Achtzigerjahre eingeführt).

Diese akademische Gender-Guerilla ist eine einflussreiche Minderheit, die so tut, als müsse man vor allem die Sprache ändern, um geschlechtsspezifische Missstände aus der Welt zu schaffen. Sprache als Kampfmittel. Diese Sprachstreiterinnen haben an einem Kompromiss so wenig Interesse wie ihre konservativen Gegner. Doch genau diesen Kompromiss, mit dem alle Seiten leben können, braucht es in der Genderfrage.

Wie wir eine gendersensible Wachheit trainieren

Dafür ist noch viel Aufklärung nötig, die es aber schwer hat in dem aufgeheizten Klima. Kein Zwang oder Dekret von oben hilft, sondern nur die urliberale Macht des besseren Arguments. Das haben die Anhänger und Anhängerinnen des moderaten Genderns auf ihrer Seite: Wer freiwillig jeden Satz so formuliert, dass er möglichst niemanden ausschliesst, trainiert sich eine gendersensible Wachheit an.

Diese erreichen wir nicht dadurch, dass wir reflexartig alles durchgendern. Dann denken wir gerade nicht mehr nach. Viel wirksamer und eleganter ist es, an wichtigen Stellen eine Doppeltnennung wie Politiker und Politikerinnen einzubauen oder sich Verlaufsformen wie «Asylsuchende» zu überlegen.

Wer sich darin mit etwas gutem Willen übt, kommt ohne Gendersternchen oder Doppelpunkt aus, die eben bei allzu geflissentlicher Verwendung nerven und den Eindruck erwecken, als wolle man bei jeder Gelegenheit die eigene Progressivität betonen. Das Gendern sollte einen Text oder eine Rede aber nicht dominieren, denn es ist angesichts von Klimawandel, Ukraine-Krieg oder sozialer Ungleichheit wahrlich nicht das wichtigste Problem auf der Welt.