
Mein Lieblingsrestaurant: Blutiges 1,5 Kilo Steak, ein Chaos und ein Kellerraum ohne Fenster
Dürfte ich in meinem Leben noch ein einziges Mal in ein Restaurant, käme ich ins Grübeln, wohin es gehen sollte. Doch so lieb mir gewisse sind, seit letzten Samstag bin ich mir wieder ganz sicher: Es müsste die «Trattoria Mario» in Florenz sein. Am meisten sass ich mit Giacomo dort, einem alten Freund, heute Götti meiner Tochter. Aber oft auch alleine. Bei «Mario» heisst das gar nichts, sitzt man doch auch dann mit drei anderen Menschen Arm an Arm am Tischchen, Teller an Teller.

Bild: bez
Bei «Mario» sitzt der Gast je nach Platz fast in der Küche, zu nahe bei der turbulenten Kasse oder einfach mitten im Gewühl. Der grosse Tisch hinten rechts an der Wand wäre der beste, bleibt aber ein Traum, ist immer besetzt; die Längswand ist hingegen eine möglichere Idealvariante, obwohl dort im Winter die Mäntel auf die Tische baumeln. Als man den Keller zum Gastraum umgestaltete, war ich erst entsetzt über das fensterlose Loch, geniesse aber mittlerweile die Ruhe und den Platz dort unten. Aufgepasst: «Mario» ist kein Geheimtipp.
Im «Lonely Planet» – ein Reiseführer, der vor der Tripadvisor- und Influencer-Zeit viel Macht hatte – war das Restaurant als allererstes genannt. Auch bedeutende italienische Gastroführer erwähnten es alljährlich. Warum sie es jetzt nicht mehr tun, weiss ich nicht, denn ausser den Preisen veränderte sich gar nichts. Gut, Fabio, der Kopf des Familienunternehmens, liess irgendwann zu, dass es nicht nur Hauswein gab, sondern auch noch ein paar allseits bekannte Toskaner und glasweise Brunello. Seit Corona muss man auch reservieren.

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Das Bistecca Fiorentina (Bild), ein T-Bone-Steak, ist der Star. Bei «Mario», so steht es klipp und klar an die Wand und auf das Tellerset geschrieben, wird es blutig oder gar nicht serviert. Unter 1,5 Kilo ist es heute fast nie. Egal: Es wird links und rechts serviert, ist da wie dort ein Fest. Doch aufgepasst: Die Schläge aus der Küche, wenn wieder eines zerteilt wird, werden vegane Gemüter noch spätnachts im Bett verfolgen. Zum Fleischkoloss sollte man sich Bohnen – weisse oder rote – bringen lassen. Die vorausgehende Pasta – eine Legende der Ragù – oder der Risotto mit Meeresfrüchten (wenn, dann am Freitag!) sind genauso sensationell wie die gekochten Fleischarten oder die Ofengerichte, etwa der Hase.

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Vor fast 35 Jahren sass ich erstmals dort auf einem der Holzschemmel, ass für 3500 Lire Pasta. Es war ein Lokal, wo viele Standbesitzer vom angrenzenden Strassenmarkt assen, aber auch Professoren und Studenten. Natürlich die Touristen. Bald in Scharen. Einige schrieben sich auf den Bewertungsplattformen bald die Finger wund, wie schrecklich hier das Bistecca, die Toiletten und der Kellerraum seien oder wie gross der Juventus-Hass vom erwähnten Wirbelwind Fabio sei. Immer müsste man bei diesen Tiraden anfügen, dass «Mario» ein Synonym für Italien ist: Das Fleisch gewordene Chaos, das einem Bauch und Seele wärmt.