
Genug jetzt mit der Schnieferei: Schnäuzt gefälligst eure Nase!
Die Hochsaison hat begonnen. Jene der ungehemmten Absonderung von Körperflüssigkeiten. Keine Scheu, lesen Sie weiter, es wird nicht schlüpfrig. Aber zähflüssig.
Dass die Nase im Winter tropft, ist ganz normal. Wenn wir von der Kälte in einen warmen Raum kommen, läuft sie nun mal, die Nase. Weil der schnelle Temperaturwechsel und die Heizungsluft ihre Schleimhäute reizen. Bei einer Erkältung umso mehr.
Gegen diesen physiologischen Vorgang habe ich auch nichts. Gegen das geräuschvolle Hochziehen von Schleim indes schon. Egal, wo ich mich derzeit befinde, im Supermarkt, im Zug, im Café – überall wird hemmungslos und total asozial geschnieft. Im Minutentakt, im Kanon. Das ist Lärmbelästigung der allerübelsten Sorte. Damit wird quasi das Innerste eines wildfremden Menschen hörbar. Eklig. Das will doch wirklich niemand. Ich jedenfalls nicht.
Zum Schniefen geht’s auf die Toilette, sagen Knigge-Experten
Ich frage mich, was mit dem guten alten Nastüechli geschehen ist. Scheint ja nicht mehr in Mode zu sein. Dabei wäre es so einfach: Ein einmaliger Schnäuzer ins Taschentuch oder, noch besser, ein diskretes Abtupfen der Nase, und die Sache ist erledigt. Alles andere ist schlechter Anstand, da sind sich die Knigge-Experten einig. Wer darauf besteht, seinen Schleim hochzuziehen, weil gewisse Mediziner sagen, das sei gesünder als schnäuzen, dann bitte auf der Toilette oder an einem Ort, wo der nächste Mitmensch mindestens zehn Schritte entfernt ist. Oder gleich zu Hause bleiben, wenn man kränkelt. Da lässt es sich dann ganz ungeniert schniefen, rotzen und rumtrompeten. Carte blanche.
Viele scheinen sich um diese Empfehlung keinen Deut zu scheren. Ich vermute, der Grund ist die pure Faulheit, gepaart mit Ignoranz. Der Rücksichtnahme wird zugunsten der eigenen Bequemlichkeit in den Allerwertesten getreten mit der Schnieferei. Ich denke mit Wehmut an die Gentlemen meiner Kindheit zurück, auch an jene in den alten Filmen. Sie trugen stets ein sauberes Nastüechli aus Stoff bei sich, waren allzeit bereit. Nicht nur, um sich diskret die Nase putzen zu können, sondern auch mal, um die Tränen einer Lady behutsam abzuwischen.
Dieses Tuch hat ein Comeback verdient
Bei den Frauen wiederum kam das Taschentuch noch multifunktionaler zum Einsatz: als Modeaccessoire oder auch als Lockstoff. So wurden Ziertücher mit Parfüm eingesprüht, um Männer zu betören. Sogar für romantische Gesten hielt das Taschentuch gerne hin: In der viktorianischen Zeit liess eine Lady es fallen, wenn ihr ein Mann gefiel. Wenn dieser höflich war, hob er es auf und gab es ihr zurück – der Bann war gebrochen.
Und das mache ich jetzt auch, den Bann brechen, und bitte höflichst darum: Kauft euch Nastüechli, es hat ein Comeback verdient! Am besten gleich eine XL-Packung, das reicht dann für den ganzen Winter. Oder vielleicht gleich ein paar Stofftaschentücher kaufen, wie in der guten alten Zeit? Dann seid ihr wirklich allzeit bereit. Euren Mitmenschen – und mir – zuliebe.




