Sie sind hier: Home > Kommentar > Gerontokratie? Von wegen! Die Jungen haben es ja selbst in der Hand

Gerontokratie? Von wegen! Die Jungen haben es ja selbst in der Hand

Einmal mehr profitieren von einer Abstimmung Seniorinnen und Senioren. Doch wer deswegen nach Wahlrechtsreformen ruft, ist auf dem Holzweg.

Auch dieses Mal haben sie wieder gewonnen, die «Alten, denen es eh gut geht»: So tönt es nach dem vergangenen Abstimmungssonntag einmal mehr landauf, landab. Tatsächlich sind die grossen Profiteure der überraschenden Abschaffung des Eigenmietwerts reifere Immobilienbesitzer, die ihr Hüsli schon fast abgezahlt haben, darum günstig in den eigenen vier Wänden wohnen und künftig auch noch weniger Steuern zahlen.

Während die Jungen von einem Eigenheim nur träumen können und die Steuerausfälle irgendwie kompensieren müssen. Wie sie auch die 13. AHV-Rente, die sich die Pensionierten und Bald-Pensionierten vor eineinhalb Jahren gegönnt haben, irgendwie werden bezahlen müssen.

Es gebe eine «Gerontokratie», heisst es nun. Eine Herrschaft der Alten, die allein aufgrund ihrer grossen Zahl die jüngeren Stimmbürgerinnen und Stimmbürger marginalisieren. Und wie immer nach solchen Abstimmungen werden Wahlrechtsreformen gefordert – etwa, dass die Stimme einer jungen Bürgerin mehr zählen soll als die eines pensionierten Bürgers. Oder gar, dass das Wahlrecht ab einem bestimmten Alter zu streichen (sic!) sei.

Nur ist dieses «Monopol der Alten» zumindest heute eine Erfindung. Ganz abgesehen davon, dass nicht alle Seniorinnen und Senioren gleich stimmen: Die Alterskohorten der Schweizer Staatsbürger sind recht ausgeglichen. So lebten gemäss Bundesamt für Statistik im vergangenen Jahr je etwa 1,5 Millionen über 65-Jährige und 20- bis 39-Jährige. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen betrug gerade einmal 60’000 Personen.

Rein zahlenmässig also könnten es die Jungen mit den Alten aufnehmen. Doch sie tun es nicht.

Der Kanton St. Gallen misst seit Jahren in acht Gemeinden die Stimmbeteiligung nach Alter. Es ist die schweizweit einzige derartige Erhebung. Sie zeigt, dass die durchschnittliche Stimmbeteiligung der 18- bis 24-Jährigen bei 29,5 Prozent liegt, die der 65- bis 74-Jährigen hingegen bei 63,2 Prozent. Wobei zu sagen ist, dass die drei Altersgruppen zwischen 18 und 44 Jahren im Hinblick auf die Stimmbeteiligung recht dicht beieinander liegen. Auf über 50 Prozent steigt diese erst nach dem 50. Lebensjahr.

Die Gründe für die Stimmabstinenz vieler Jungen sind vielfältig. Da ist zum einen etwa das Gefühl, von politischen Entscheiden nicht so richtig betroffen zu sein. Zum anderen haben sie häufig den Eindruck, nicht kompetent genug zu sein, so komplexe und weitreichende Entscheidungen zu treffen. Und nicht zuletzt kommt ein geringes Interesse an Politik und dafür viel Interesse an Sport, Hobbys, Freunden hinzu.

Einzelne Abstimmungen wie etwa über die Abschaffung der Wehrpflicht und die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs zeigen denn auch, dass die Jüngeren durchaus an die Urne gehen, wenn sie betroffen sind und zu profitieren hoffen. Auch bei viel diskutierten und als bedeutsam eingestuften Vorlagen steigt ihre Beteiligung, wie in allen anderen Altersgruppen. Sie stimmen also ab, wenn sie wollen.

Und, auch das geht in diesem Zusammenhang gern vergessen: Zum Stimmrecht gehört ebenso das Recht, davon keinen Gebrauch zu machen. Dieses Recht nehmen Junge seit Generationen in Anspruch. Man weiss aus der politikwissenschaftlichen Forschung, dass die Beteiligung am politischen Leben mit dem Alter steigt – wenn man sesshaft wird, eine Familie gründet, im Berufsleben steht.

Auch darum politisieren in kantonalen Parlamenten ebenso wie in National- und Ständerat eher Männer und Frauen in gesetzterem Alter. Die machen mitnichten nur Politik für ihresgleichen – Generationengerechtigkeit ist ein viel gehörtes Wort in den Ratsdebatten.  Dass sie dabei Rücksicht nehmen auf jene, die ihre Entscheidungen bei Abstimmungen unterstützen oder ablehnen könnten, ist in der direkten Demokratie so gewollt. Und das sind eben eher ältere Stimmbürgerinnen und Stimmbürger.

Doch Fakt bleibt: Die Jungen werden nicht abgetischt, sie lassen sich abtischen. Das ist ihr gutes Recht. Genauso wie sie die Möglichkeit haben, das zu ändern. Wer eine andere Politik will, eine Politik, die mehr Gewicht auf die Chancen legt, die künftige Generationen haben sollen, und auf die Lasten, die sie schultern müssen – eine Politik also, die dafür sorgt, dass es den Jungen ebenfalls «gut geht», der kann das erzwingen. Es ist nirgendwo so einfach wie hier.