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Schutz für Frauen: Kontakt- und Annäherungsverbote sollen über Kantonsgrenzen hinweg gelten

Bisher wissen die Aargauer Behörden nicht, wenn die Luzerner Polizei gegen einen Mann eine Gewaltschutzmassnahme erlassen hat. Grossratsmitglieder aller Parteien sehen dies als gefährliche Gesetzeslücke bei häuslicher Gewalt oder Stalking.

Spanien hat vor zwanzig Jahren ein Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt eingeführt und seither den Kampf gegen Femizide stetig ausgebaut. Bei einem Besuch in Madrid informierte sich Bundesrat Beat Jans letzte Woche über die Massnahmen. Zu diesen gehört auch das elektronische Monitoring. Dieses schlägt Alarm, wenn ein Gefährder die gerichtlich verfügte Distanz zur bedrohten Frau unterschreitet. Jans liess sich die Funktionsweise des Systems mit Fussfesseln» live vorführen.

Das System kann nicht alle Tötungen von Frauen verhindern, aber die Zahl der Femizide ist in Spanien fünfmal niedriger als in der Schweiz. Bundesrat Jans sagte im Interview mit CH Media, angesichts steigender Femizid-Zahlen müsse die Schweiz «jetzt unbedingt vorwärtsmachen». Mit guten Gesetzen und technologischen Mitteln lasse sich etwas bewirken, ergänzte der Justizminister und konkretisierte: «Es braucht ein elektronisches Monitoring und ein Alarmsystem mit Fussfesseln für Täter wie in Madrid.»

Derzeit laufen in den Kantonen Basel-Landschaft und Zürich solche Versuche. Auch die Aargauer Regierung kann sich ein solches Modell vorstellen. Zuerst wolle man aber eine Studie der Universität Bern zu diesem Thema abwarten, hiess es Anfang Juni in der Antwort auf einen Vorstoss von SVP-Grossrat Stephan Müller. Nicht möglich sei das System, wenn keine getrennte Wohnsituation vorliege oder die zu schützende Person sich nicht freiwillig von der zu überwachenden Person fernhalte.

Opfer erhalten Annäherungsalarm

Heute wird bei der Überwachung von Kontakt- oder Rayonverboten im Aargau die GPS-Technologie eingesetzt. Betroffene haben die Möglichkeit, ein Gerät zu verwenden, das Alarm auslöst, wenn der Gefährder das Kontaktverbot verletzt. «Damit wird das potenzielle Opfer gewarnt und ihm ermöglicht, sich in Sicherheit zu bringen beziehungsweise die Polizei zu alarmieren», schreibt der Regierungsrat. Eine aktive Überwachung wie in Spanien würde einen beträchtlichen Personalaufwand nach sich ziehen.

Unter anderem deshalb verzichtet der Verein EM, der ein nationales Electronic-Monitoring-System beschaffen und betreiben soll, wohl vorerst auf eine Überwachungszentrale. Der Aargau ist einer von 22 Kantonen, welche dem Verein angehören. Der Regierungsrat schreibt: Technisch werde das System darauf ausgerichtet, dass eine solche Zentrale später problemlos angeschlossen und eine aktive Überwachung möglich werden könne.

Gewaltschutzmassnahmen sollen überall gelten

Auch im Aargau kommt es immer wieder zu Angriffen auf Frauen, so verletzte am letzten Dienstag in Brittnau ein Ire seine Ex-Partnerin mit einem Messer. Diese erlitt dabei schwere Schnittwunden im Gesicht, der mutmassliche Täter wurde am Donnerstag in Zürich festgenommen. Tödlich endete im März die Attacke eines kosovarischstämmigen Ehemannes auf seine Frau in Obermumpf. Die 55-Jährige wurde tot im Badezimmer aufgefunden, der Verdächtige in Untersuchungshaft versetzt.

Nur eine Woche vor dem Fall in Brittnau reichten Grossratsmitglieder aller Parteien einen Vorstoss ein, der eine Verschärfung bei der Umsetzung von Gewaltschutzmassnahmen verlangt. Vertreten wird die Motion von Luzia Capanni (SP) als Sprecherin, sie kritisierte bei Tele M1, dass Kontakt- oder Annäherungsverbote heute auf den Kanton beschränkt seien, der sie erlässt. «Dies führt zu einer gefährlichen Rechtslücke, insbesondere in Fällen von häuslicher Gewalt oder Stalking», heisst es im Vorstoss.

Dieser enthält auch ein Beispiel: Wird eine gefährdende Person im Kanton Luzern mit einem Kontaktverbot belegt, kann sie sich ungehindert im Aargau aufhalten und die Ex-Partnerin von dort aus kontaktieren. Dies könne grenzüberschreitend oder direkt passieren, wenn die betroffene Person etwa im Aargau arbeite. Die hiesigen Behörden könnten erst einschreiten, «wenn die Aargauer Polizei Kenntnis vom Sachverhalt erhält und eine eigene Anordnung erlässt».

Luzia Capanni (SP) vertritt den Vorstoss, dass Gewaltschutzmassnahmen überkantonal gelten sollen.
Bild: Britta Gut

Gefährdende Personen aber orientierten sich nicht an Kantonsgrenzen, der Gewaltschutz dürfe dies ebenso wenig tun, schreibt Capanni. Die Motion fordert, die Gesetze so anzupassen, dass polizeiliche Anordnungen über die Kantonsgrenzen hinaus verbindlich und vollstreckbar sind. Polizei- und Strafverfolgungsbehörden im Aargau sollten die Kompetenz und auch die Pflicht haben, Kontakt- und Rayonverbote aus anderen Kantonen zu vollziehen und Verstösse dagegen zu ahnden.

Darüber hinaus solle sich der Aargau in den zuständigen Gremien für eine schweizweite Regelung einsetzen, fordern die Grossratsmitglieder. Ziel müsse es sein, «eine kohärente und wirksame Lösung für den interkantonalen Vollzug von Gewaltschutzmassnahmen zu erreichen». Möglichkeiten dafür wären koordinierte kantonale Gesetzgebungen oder ein zukünftiges Bundesgesetz.