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Maut am Gotthard? Die Tessiner Regierung geht auf die Barrikaden – und richtet einen Appell an den Bundesrat

Eine parteienübergreifende Koalition will am Gotthardstrassentunnel eine Maut einführen. Die Tessiner Regierung warnt vor einer schädlichen Barriere zur Südschweiz und wendet sich an den Bundesrat.

«Stau am Gotthard»: Diese Radiodurchsage ertönt immer öfter auch an Wochentagen ausserhalb der Ferienzeit. Aktuelle Daten des Verkehrsdienstes Viasuisse bestätigen: Die Stauproblematik am Gotthardtunnel hat sich in diesem Jahr akzentuiert. Was tun, gegen das Dauerärgernis? Eine Idee kommt laut einer Umfrage von Tamedia besonders gut an: Knapp 70 Prozent der Bevölkerung befürworten eine Maut.

Die Politik hat den Ball bereits aufgenommen. In der Sommersession haben die Nationalräte Simon Stadler (Mitte, UR), Matthias Jauslin (FDP, AG) und deren Ratskolleginnen Corina Gredig (GLP, ZH) einen gleichlautenden Vorstoss eingereicht. Das Ziel: Am Gotthard und an anderen relevanten Nord-Süd-Alpenübergängen soll künftig eine Maut fällig werden. Diese Pläne kommen bei der Tessiner Regierung schlecht an. In einem Brief an den Bundesrat drückt sie ihren «starken Widerstand» dagegen aus, wie sie am Dienstag mitteilte.

Der Kanton Tessin würde durch solch eine Barriere zwischen Norden und Süden schwerwiegend bestraft, heisst es in dem Communiqué. Die Regierung befürchtet nicht nur wirtschaftliche Schäden, sondern auch weniger sozialen und kulturellen Austausch mit der Restschweiz. Ausserdem werde das in der Verfassung verankerte Prinzip der Rechtsgleichheit verletzt. Die Zahlstellen auf den italienischen Autobahnen zeigten sodann, dass ein System mit einer Maut ineffizient sei. Und es drohe Ausweichverkehr auf andere Alpenübergänge.

Der Brief an den Bundesrat greift die starke Opposition auf, die Tessiner Politiker, Tourismus- und Wirtschaftsvertreter nach Bekanntwerden der Mautidee formulierten. Marco Solari, Präsident des Filmfestivals Locarno, rief in der Zeitung «Corriere del Ticino» alle Tessiner Politiker dazu auf, gegen den Vorschlag zu kämpfen. Dieser sei «Frucht einer ewig parternalistischen Mentalität» der Deutschschweiz gegenüber dem Tessin.

Noch offen ist die Haltung des Bundesrats. In einem Gespräch mit der «Aargauer Zeitung» in Holziken nahm Verkehrsminister Albert Rösti Stellung zur Ideenvielfalt (Maut, Reservationssystem, alle vier Spuren öffnen, Vorzugsspur für Tessiner und Urner) rund um den Gotthard. Kurzfristig sei wahrscheinlich keine realisierbar. Als die beste taxierte er die Maut: «Das wäre am einfachsten». Eine Maut am Gotthard liesse sich grundsätzlich ohne Abstimmung umsetzen. Würde sie bei allen Alpenverbindungen oder generell bei Tunnelverbindungen eingeführt, bräuchte es aber eine Verfassungsänderung, wie die frühere Verkehrsministerin Doris Leuthard 2017 im Parlament ausführte.

Simon Stadler und seine Mitstreiter schlagen flankierende Massnahmen vor, um Ausweichverkehr zu verhindern. Zudem schwebt ihnen vor, die Bevölkerung und die Wirtschaft der Kantone Uri und Tessin von den Gebühren zu entlasten. Stadler kontert die Bedenken der Tessiner Regierung: «Im Kanton Uri haben wir wirtschaftliche Schäden, weil die Erwerbstätigen im Stau stehen und Betriebe nicht mehr an allen Wochentagen beliefert werden.» Er wolle den Kanton Tessin nicht von der Restschweiz abschneiden, sondern die Spitzen brechen und den Verkehr flüssiger gestalten. Das helfe auch dem Tessin.