
«Heute steht eine ganz andere Person hier»: Warum ein einsichtiger Schwarzfahrer eine neue Chance erhält
Sehr viel sei anders heute, entgegnete der Beschuldigte auf die Frage von Bezirksgerichtspräsident Cyrill Kramer. Vor gut drei Jahren hatte der junge Schweizer schon vor dem Bezirksgericht Zurzach gestanden. Vorgeworfen wurde ihm mehrfaches Fahren ohne Berechtigung.
Am 24. Juli 2021 war er in Kaiserstuhl am Steuer eines Autos erwischt worden, obwohl ihm 2020 der Führerausweis auf Probe mit Verfügung des Strassenverkehrsamtes Zürich auf unbestimmte Zeit entzogen worden war. Wenige Tage später, am 29. Juli, war er in Bülach wiederum am Steuer eines Autos ertappt worden, und am 11. August 2021, ebenfalls in Bülach, gleich ein drittes Mal.
In der Folge hatte er sich vor dem Bezirksgericht Zurzach wegen mehrfachem Fahren ohne Berechtigung zu verantworten. Die Staatsanwaltschaft forderte eine unbedingte Freiheitsstrafe von 12 Monaten. Das als Gesamtstrafe mit dem Widerruf des bedingten Erlasses einer früheren Geldstrafe. Das Bezirksgericht Zurzach setzte damals aber das Urteil aus, nachdem sich der Beschuldigte einer Therapie unterzog.
«Das war absolut dumm»
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Jetzt hatte sich der junge Mann nochmals mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen. «Ich hatte damals psychische Probleme», erklärte er. «Ich habe auch keine plausible Erklärung für die Vorfälle.» Nach einer teilweise stationären Therapie ist es ihm aber gelungen, wieder Fuss zu fassen.
Als entscheidenden Wendepunkt bezeichnete er den Abschluss seiner Berufslehre, die er mit sehr guten Noten beendete. Nicht zuletzt auch dank der Unterstützung seines damaligen Lehrbetriebes machte er die Berufsmatur. Gegenwärtig absolviert er an einer Fachhochschule ein Studium in technischer Richtung.
Zu den Vorfällen, die mittlerweile mehr als vier Jahre zurückliegen, erklärte er: «Das war absolut dumm und auf meinen damaligen psychischen Zustand zurückzuführen.»
«Unbedingte Strafe nicht angezeigt»
«Der Beschuldigte steht zum zweiten Mal in gleicher Sache vor Gericht», so der amtliche Verteidiger. «Inzwischen ist aber einige Zeit vergangen. Er steht jetzt mitten im Leben. Er ist geständig und sieht ein, dass er sich falsch verhalten hat, und er steht gerade für die Vorfälle.»
Es gebe nichts schönzureden, sagte der Verteidiger. Die Vorfälle würden aber mehr als vier Jahre zurückliegen. Angemessen sei eine Geldstrafe von maximal 100 Tagessätzen, gerechtfertigt, ein Tagessatz von 30 Franken. «Eine unbedingte Strafe ist nicht mehr angezeigt», betonte der Verteidiger.
«Der Beschuldigte hat bereits vor vier Jahren Einsicht gezeigt. Er hat ärztlichen Beistand gesucht und alles darangesetzt, seine Berufslehre abzuschliessen und diese auch mit Bravour bestanden. Er ist aufgeblüht und geht mit Herzblut seinem Studium nach. Er lebt in stabilen Verhältnissen und steht mit beiden Füssen auf dem Boden. Es besteht kein Bedürfnis nach einer Sanktion mit einer unbedingten Strafe.» Der Beschuldigte sei daher zwar im Sinne der Anklage schuldig zu sprechen, aber zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu 30 Franken zu verurteilen. Die Geldstrafe sei, bei einer angemessenen Probezeit, bedingt zu erlassen.
Das Gericht folgte den Anträgen des Verteidigers. Die Probezeit setzte es auf fünf Jahre an. «Entscheidend ist, was in den letzten drei Jahren passiert ist», erklärte Gerichtspräsident Kramer zum Urteil. «Heute steht eine ganz andere Person hier.» Das zeige, dass sich Geduld zum Guten auswirken könne. «Das Gericht estimiert Ihre Entwicklung», wandte er sich an den jungen Mann. «Sie haben den Tatbeweis erbracht, dass Einsicht möglich ist. Leider gibt es nicht allzu viele Fälle, die sich so entwickeln.»




