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Historikerin Astrid Baldinger: «Der Chemiearbeiterstreik in Zofingen war ein wichtiger Meilenstein»

Die Historikerin Astrid Baldinger hat unter anderem die Industriegeschichte Zofingens unter die Lupe genommen. Im ZT-Talk erklärt sie, wie wichtig der Chemiearbeiterstreik 1946 in Zofingen war – und wie krass Frauen zu dieser Zeit in der Arbeitswelt benachteiligt waren. 

619 Seiten stark präsentiert sich das Werk «Zeitgeschichte Aargau 1950-2000», das im Dezember letzten Jahres erschienen ist. Es bildet das wissenschaftliche Rückgrat eines vierjährigen Projekts, das die jüngste Geschichte des Aargaus unter die Lupe nimmt. Damit ist der Aargau der erste Kanton der Schweiz, der seine Vergangenheit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufarbeiten liess. Die Historikerin Astrid Baldinger hat das Wirtschaftskapitel erarbeitet – und dabei auch den Bezirk Zofingen ins Visier genommen.

Dabei hat sie sich unter anderem mit dem Chemiearbeiterstreik 1946 in Zofingen beschäftigt – 2000 Menschen gingen damals auf die Strasse, um einen Gesamtarbeitsvertrag durchzusetzen.  «Man kann sagen, dass dies tatsächlich ein Schlüsselereignis war», sagt Astrid Baldinger. Nach dem Krieg lag es fast ausschliesslich im Ermessen der Patrons, den Arbeiterinnen und Arbeitern Lohnerhöhungen zu gewähren. «Es waren unglaublich mühsame Verhandlungen. Der Streik in Zofingen hat dazu geführt, dass die sogenannte Herr-im-Haus-Haltung abgelegt werden musste. Dass die Patrons nicht mehr selbstherrlich verfügen konnten, sondern dass sie ein Vis-à-vis, ein Gegenüber hatten. Dass sie Gewerkschaften akzeptierten, die für die gesamte Arbeiterschaft verhandelten: Es gibt Lohnerhöhungen für alle – und Arbeitsbedingungen, die für alle gelten. Gegen Gesamtarbeitsverträge hatte man sich lange Zeit gesträubt.» Der Streik in Zofingen war ein wichtiger Meilenstein bei der Durchsetzung von Kollektivverträgen.

Der Chemiearbeiterstreik 1946 in Zofingen.
Sozialarchiv Zürich

Perplex war sie, als ihre eine Lohntabelle aus dem Jahr 1950 in die Hände fiel. «In der Tabelle gab es drei Kategorien.  Die erste Kategorie: Arbeiter gelernt. Die zweite: Arbeiter ungelernt. Die dritte Kategorie – mit dem tiefsten Lohn: Frauen. Frauen wurden grundsätzlich deutlich schlechter bezahlt.»

Am 25. Februar kommt Astrid Baldinger auf Einladung der Historischen Vereinigung Zofingen und Umgebung ins Bildungszentrum Zofingen (Aula, 19 Uhr). Sie zeichnet in ihrem Referat die Veränderungen der Zofinger Industrie von 1950 bis 2000 nach. Ein besonderes Augenmerk gilt zudem dem Thema Konsum und der Deindustrialisierung. Begleitet wird Baldinger von Historiker Patrick Zehnder, der die Folgen der Bevölkerungsentwicklung untersucht hat.