
In ersten Städten gibt es zu viele Kita-Plätze – warum das für Eltern im ganzen Land keine gute Nachricht ist
Als die Kinderkrippe Hoppel im Jahr 1997 in Zürich von verzweifelten Eltern gegründet wurde, war die Versorgung mit Kitas noch so prekär, dass sogar die Winterhilfe spendete. Das hat sich geändert: Mittlerweile gibt es viele Kitas und immer weniger Kinder – mit Konsequenzen für den einstigen Pionier. Vor einem Jahr schloss die Krippe ihren Standort in Zürich, den zweiten in Oetwil am See übergibt sie per 1. Januar 2026 den ZFV-Unternehmungen. Das ist kein Einzelfall.
Immer mehr Kitas werden von grossen Ketten geführt. Sie haben in den vergangenen Jahren ausgebaut. Die fünf grössten betreiben derzeit fast 270 Standorte – etwa dreimal so viele wie noch vor zehn Jahren. Alleine Globegarden hat seit Mitte 2024 etwa 10 neue Ableger eröffnet.
Die Genossenschaft ZFV-Unternehmungen hat ihr Angebot an Kitas innert 10 Jahren verdreifacht, und zwar hauptsächlich durch Übernahmen, wie Alexandra Hochuli sagt, die Co-Geschäftsführerin der ZFV-Kita-Tochter Kimi Krippen AG. «Der Markt konsolidiert sich», sagt sie. «Viele kleinere Anbieter suchen nach tragfähigen Lösungen, weil der administrative und wirtschaftliche Aufwand in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist». Die ZFV verzeichne immer mehr Anfragen von unabhängigen Kitas, die sich gerne übernehmen lassen würden.
Die grössten Kita-Anbieter der Schweiz

Steigende Kosten beträfen zwar die gesamte Branche, sagt Hochuli. Durch die Grösse könne die ZFV aber gewisse Prozesse zentralisieren und Synergien nutzen – zum Beispiel in der Administration, in der Personalentwicklung oder im Einkauf. «Das verschafft uns etwas mehr Spielraum, um Qualität und gute Arbeitsbedingungen zu sichern.»
Ähnlich tönt es beim Marktführer Globegarden. Es sei eine positive Entwicklung, dass der Markt «zunehmend professioneller» werde. Hinter vielen Übernahmen stecken allerdings handfeste wirtschaftliche Nöte. Die wirtschaftliche Situation sei «schwierig», heisst es beim Verband Kibesuisse. Sie hänge aber auch vom Versorgungsgrad in der jeweiligen Region ab.
Kitas kämpfen überall mit immer strengeren Auflagen und höheren Betriebs- und Lohnkosten und flüchten sich zum Teil in die Arme von grösseren Betrieben. So übernahm Small Foot per Anfang Jahr zwei Betriebe in Nidwalden. Doch weil das Angebot auf dem Land zum Teil noch immer klein ist und weil die Quote der Kinder steigt, die fremdbetreut werden, stossen Neugründungen dort oft auf eine hohe Nachfrage.
Mehr Kitas für weniger Kinder
Das hilft ihnen, ein anderes Problem abzufedern: Der Nachwuchs fehlt. Im vergangenen Jahr gab es in der Schweiz 421’651 Kinder im Alter von 0 bis 4. Das sind 4 Prozent weniger als noch 2021. Dieser Trend dürfte weitergehen, denn die Geburtenrate sinkt Jahr für Jahr und die Zuwanderung war zuletzt rückläufig. Deutschland zählt dieses Jahr zum ersten Mal seit 20 Jahren weniger Kita-Kinder als im Vorjahr. So weit ist die Schweiz nicht, doch die Entwicklung zeigt in dieselbe Richtung.
Kitas in den Städten trifft das besonders hart, denn sie können ihre Auslastung kaum mehr verbessern durch einen höheren Anteil von Kindern, die die Kitas besuchen. Dieser ist schon sehr hoch, Potenzial gibt es kaum noch.
Besonders hart ist der Wettbewerb derzeit in der Stadt Zürich. Hier stehen für 1000 Kinder im Vorschulalter 558 Kita-Plätze zur Verfügung. Das tönt nach wenig, doch weil nur wenige Kinder an fünf Tagen in der Woche betreut werden, beträgt die sogenannte Versorgungsquote mittlerweile 97,4 Prozent, ein Allzeit-Rekord. Die Zeiten, als Eltern sich Sorgen machen mussten, überhaupt einen Platz zu finden, sind hier vorbei. Kitas kämpfen nun um jedes Kind. Zürich ist ein Vorbote: Der Wettbewerb, der hier bereits gnadenlos tobt, könnte auch im Rest der Schweiz Tatsache werden.
Betreuungsangebot für Kleinkinder

Markus Guhn weiss, was das heisst. Er ist Präsident des Vereins «Orte für Kinder», der vor 18 Jahren gegründet wurde. Im Zürcher Kreis 5, wo der Verein eine Kita betreibt, gebe es derzeit 2,5 Plätze pro Kind – ein «gewaltiges Überangebot», wie er sagt. Der Geburtenrückgang werde für viele Kitas gefährlich. «Wer einen schlecht laufenden Betrieb hat, versucht jetzt, einen Käufer zu finden.»
Die Konsolidierung werde anhalten, weil der Markt zuletzt «mit Subventionen aufgebläht wurde», wie Guhn sagt. Der Bund fördert nämlich seit 2003 Kitas im Rahmen einer Anschubfinanzierung während den ersten zwei Jahren. Deshalb seien Kitas an Orten eröffnet worden, an denen es gar keine weiteren brauche. Ende 2026 soll die Förderung auslaufen und durch ein neues Gesetz abgelöst werden. Dann könne es zu einer weiteren Bereinigung kommen, sagt Guhn.
Allerdings seien grosse Trägerschaften nicht per se im Vorteil: «Es gibt Null Skaleneffekte bei pädagogischen Prozessen». Zwar könnten grosse Anbieter für alle Betriebe WC-Papier oder Windeln einkaufen, doch dieser Effekt sei winzig klein im Verhältnis zu den Gesamtkosten. Der grösste Kostenblock seien die Personalkosten. Laut Zahlen des Verbands Kibesuisse machen sie durchschnittlich 76 Prozent eines Kita-Budgets aus. «Und wer beim Personal spart, senkt automatisch die Betreuungsqualität», sagt Guhn.
Den Eltern fehlt wirtschaftliche Sicherheit
Kleine Kitas könnten sogar im Vorteil sein, weil sie keine teure Administration finanzieren müssen. «Als Kita-Leiter bin ich gleichzeitig Personalchef, Account- und Salesmanager, Buchhalter, Einkäufer, Hauswart und betreue unsere Internetseite», sagt Guhn. Das sei günstiger, als alles auf einzelne Stellen aufzuteilen. Bei grossen Ketten hingegen müsse eine einzelne Kita schon einmal 10 Prozent oder mehr des Umsatzes an die Zentrale abliefern.
Pascal Schnüriger sieht das ähnlich. Er ist Geschäftsführer der Kita-Gruppe Small Foot. Small Foot sei wie andere mit immer strengeren Vorgaben etwa zur Ausbildung und Weiterbildung des Personals konfrontiert, ohne dass diese Mehrkosten an Eltern weitergegeben werden könnten. Wenn überhaupt, habe seine Firma als grosse Trägerschaft nur einen «ganz geringen Vorteil». Auch Small Foot habe zudem schon Standorte schliessen müssen. Gründe seien neben dem Geburtenrückgang die aktuelle Wirtschaftslage, die fehlende wirtschaftliche und familiäre Sicherheit oder das Fehlen von Anreizsystemen für Familien und Eltern.
Investoren schielen auf Kitas
Dennoch bleibt der Kita-Markt ein Milliarden-Business. Genaue Zahlen werden nicht erhoben, doch Schätzungen von CH Media zufolge dürften etwa 4 Milliarden Franken jährlich umgesetzt werden. Eine durchschnittlich grosse Kita mit drei bis vier Gruppen setzt etwa eine Million Franken jährlich um, zuletzt gab es hierzulande über 3800 Kitas. Das macht die Branche für Investoren interessant.
Die Schweizer Firma Globegarden könnte laut einem Bericht der «Finanz und Wirtschaft» an Private-Equity-Firmen verkauft werden. Bei Small Foot sitzt der Basler Investor Andreas Rey im Verwaltungsrat, der in die Übernahme von Spar Schweiz involviert ist und in den FC Basel investiert hat. Das Netzwerk «Pop e Poppa» wiederum gehört dem französischen Konzern «La Maison Bleue», der jedes Jahr etwa 300 Millionen Euro Umsatz mit 600 Krippen in ganz Europa schreibt.
Markus Guhn vom Verein «Orte für Kinder» sagt, er sei nicht grundsätzlich dagegen, dass es gewinnorientierte Trägerschaften gebe. Problematisch werde es, wenn nicht mehr die Qualität im Vordergrund stehe, sondern der Gewinn der Investoren. Schlussendlich sei es eine Frage der Philosophie. Er sehe seine Kundschaft, Kinder wie Eltern, jeden Tag in der Kita. «Wenn ich hingegen einen Konzern mit 80 Standorten verwalte, habe ich eine andere Optik. Dann kenne ich meine Kunden und ihre Bedürfnisse nicht mehr persönlich.»




