
Experte über das umstrittenste Polit-Thema der Schweiz: «Unsere Europapolitik ist spannend und reizvoll!»
Kaum ist in der Schweiz von der EU die Rede, werden Diskussionen hitzig. Was fasziniert Sie an dem Thema, über das sich viele andere vor allem ärgern?
Unsere Europapolitik ist spannend und reizvoll! Wir liegen im Herzen Europas. Wir teilen mit der EU gemeinsame Grundwerte, haben bilaterale Verträge abgeschlossen und übernehmen EU-Regeln autonom. In der Schweiz leben 1,6 Millionen Menschen aus der EU. Gleichwohl tun wir uns schwer, unseren Platz in Europa zu finden. Entsprechend herausfordernd sind die rechtlichen Fragen, die sich in den Beziehungen zur EU stellen.
Erste Vorverhandlungen über die Fortsetzung des bilateralen Wegs begannen 2013. Jetzt erst eröffnet der Bundesrat die Vernehmlassung für das Verhandlungsergebnis. Warum dauerte das so lange?
Die EU fordert seit 2008, neue institutionelle Regeln abzuschliessen. Die Schweiz liess sich 2014 eher widerwillig auf Verhandlungen ein. Sie verliefen zäh und wurden 2021 abgebrochen. Beim zweiten Versuch haben sich der Bundesrat und die Europäische Kommission nun zügig auf ein neues Vertragspaket geeinigt. Kaum jemand hätte beim Verhandlungsabbruch 2021 damit gerechnet, dass vier Jahre später ein neues Vertragswerk auf dem Tisch liegt.
Es steht ein ganzes Paket von Verträgen zur Debatte. Zu reden geben aber vor allem die neuen Regeln zur Übernahme von EU-Recht und zur Streitbeilegung. Sind das die wichtigsten europapolitischen Neuerungen, über die die Schweiz jemals entscheiden musste?
Der entscheidende Moment der jüngeren Schweizer Europapolitik war das Nein zum EWR 1992. Danach wurde der bilaterale Weg zum Königsweg erkoren. Nun geht es darum, die Grundlagen für die Weiterführung dieses Wegs zu schaffen.
Welche Bezeichnung der neuen Verträge ist Ihnen lieber: Stabilisierungspaket, wie die Befürworter und der Bundesrat sagen, oder Unterwerfungsvertrag, wie die SVP sagt?
Mir scheint die Bezeichnung «Bilaterale III» nicht unpassend. Es handelt sich um eine Weiterentwicklung der vertraglichen Beziehungen in der Tradition der beiden Vorgängerpakete von 1999 und 2004. Dies darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit der Dynamisierung und dem neuen Streitbeilegungsmodell ein erheblicher Integrationsschritt einhergeht. Welcher Name sich in der öffentlichen Debatte auch durchsetzt: Entscheidend bleibt der Inhalt der neuen Verträge.
Den ersten Beitrag der Serie finden Sie hier:«Worum geht es bei den neuen Verträgen mit der EU?»