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Vorwurf der Vergewaltigung: Bekannter Genfer Islamwissenschaftler Tariq Ramadan freigesprochen

Einst «Popstar» der Islamwissenschaft, wurde die Karriere von Tariq Ramadan von Vergewaltigungsvorwürfen gestoppt. Nun liegt das erste Urteil vor. Doch abgeschlossen ist die Affäre deswegen nicht.

Über Jahre hinweg war er einer der gefragtesten islamischen Denker in Europa: der gebürtige Genfer Tariq Ramadan. Der brillante Rhetoriker schrieb mehrere Bücher, äusserte sich im Fernsehen und im Radio zu aktuellen Debatten – in der Schweiz etwa zur Minarettinitiative – und lockte bei Auftritten seine Anhängerschaft in Scharen an.

Auch an diesem Mittwoch war Ramadan ein grosses Publikum gewiss, doch kam dieses nicht, um seinen Worten zu lauschen. Vielmehr stand das Urteil des Genfer Strafgerichts in einem viel beachteten Prozess an: Eine Schweizerin wirft dem 60-Jährigen vor, sie in der Nacht vom 28. auf den 29. Oktober 2008 in einem Genfer Hotel geschlagen, vergewaltigt und zu Oralsex gezwungen zu haben. Sie habe sich zuvor mit ihm zu einem theologischen Austausch getroffen.

Ihre Anzeige reichte die Frau im Jahr 2018 ein, nachdem in Frankreich im Zuge der Me-Too-Welle 2017 ähnliche Anschuldigungen gegen den Islamwissenschaftler publik wurden. Im Nachbarland kam es bis jetzt nicht zum Prozess. Die französische Staatsanwaltschaft hat aber einen solchen gefordert – wegen des Verdachts der Vergewaltigung von vier Frauen zwischen 2009 und 2016.

Entsprechend sassen auch französische Journalisten und Reporterinnen im prall gefüllten Saal, als das Strafgericht kurz vor Mittag sein Urteil verkündete: Tariq Ramadan wird freigesprochen, die Anklage der Staatsanwaltschaft abgewiesen. Sie hatte eine dreijährige Haftstrafe gefordert.

Keine Zeugen, keine Beweise

Die Schilderungen der Klägerin seien zwar «relativ detailliert und konstant», sagte der Gerichtsvorsitzende. Man könne jedoch nicht belegen, dass sich die Ereignisse so abgespielt hätten. Es gebe keine «materiellen» Beweise wie einen medizinischen Befund, keine direkten Zeugen und die psychiatrischen Einschätzungen seien «widersprüchlich». Zudem laufe der Nachrichtenaustausch nach der besagten Nacht der Position der Frau zuwider. Sie schrieb Ramadan, dass sie ihn liebe und ihn wiedersehen wolle. Vor Gericht erklärte die 57-Jährige dazu, dass sie den Vorfall im Hotelzimmer habe verstehen wollen. Dies überzeugte das Gremium nicht.

Ramadan hatte die Anschuldigungen stets zurückgewiesen. Die Frau sei zwar über Nacht bei ihm im Hotelzimmer geblieben, es habe aber keinen Geschlechtsverkehr gegeben. Sein Abweisen habe sie wohl gekränkt. Der einst bekannte Islamforscher sieht die Vergewaltigungsvorwürfe – auch jene aus Frankreich – als Versuch, ihn als Person zu Fall zu bringen.

Tariq Ramadan war bereits zum Höhepunkt seiner Karriere eine polarisierende Figur. Selbst sah sich der Genfer als Reformer, als Vordenker eines «europäischen Islams». Fortschrittliche muslimische Kreise kritisierten dagegen, dass der Forscher konservative, islamistische Inhalte hinter einem westlichen Gewand verberge.

Während Ramadans Professur an der Universität Oxford seit Bekanntwerden der Vorwürfe ruht, ist die Fortsetzung der Justiz-Saga absehbar. Nicht nur in Frankreich, auch in der Schweiz: Wie die Anwälte der Privatklägerin ankündigten, wird die Frau das ergangene Urteil anfechten.