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Behindertenorganisationen haben kein Verständnis für «Erlösung» – und wünschen sich mehr Offenheit von Eltern, Hilfe anzunehmen

Die Eltern und die Grossmutter eines dreijährigen Mädchens sollen das Kind getötet haben, weil es eine schwere Behinderung hatte. Es sei eine Erlösung gewesen, sagen sie. Behindertenorganisationen und Eltern von beeinträchtigten Kindern können das nicht nachvollziehen.

Die Kindstötung in Hägglingen machte landesweit Schlagzeilen: Die Eltern und die Grossmutter einer Dreijährigen sollen dem Mädchen im Mai 2020 Ecstasy eingeflösst und es anschliessend erstickt haben. Sie haben ihre Tochter erlöst, sagen die Eltern. Denn das Mädchen litt an einer zerebralen Erkrankung und wäre höchstwahrscheinlich lebenslang auf intensive Pflege und Betreuung angewiesen gewesen.

Das lässt Beat Walter nicht gelten. «Da bekomme ich einen dicken Hals, wenn man ein solches Kind wegen der Beeinträchtigung oder Behinderung nicht akzeptieren kann. Da habe ich kein Verständnis dafür», sagt der Vater von zwei beeinträchtigten Kindern gegenüber Tele M1. Natürlich war es auch für ihn nicht einfach, als er die Nachricht bekam, dass seine Kinder nicht völlig gesund sind: «Man hat ein paar Tränen vergossen, aber man hat später gesagt, es muss weitergehen und die Kinder können ja nichts dafür.»

Das sieht auch Anke Müller so. Die Geschäftsführerin der Stiftung Schürmatt, wo man sich um die Entwicklung und Unterstützung von kognitiv und mehrfach beeinträchtigten und entwicklungsverzögerten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen kümmert, sagt: «Ich wünsche mir manchmal, dass die Eltern ein Stück offener sind, weil es kein Abschieben, sondern ein Betreuen und Begleiten mit Fachpersonen ist. Die wissen, wie sie ihren Job machen.»

Diese Unterstützung wollten die Eltern aus Hägglingen nicht nutzen. Sie sind überzeugt, dass die Tötung die humanste und schmerzloseste Option war: «Sie hätte nie ein schönes Leben führen können.» Jetzt müssen sie und die Grossmutter sich wegen Mordes respektive der Gehilfenschaft zum Mord vor dem Bezirksgericht Bremgarten verantworten.

Die Staatsanwaltschaft fordert je 18 Jahre Freiheitsstrafe und 15 Jahre Landesverweis für den 33-jährigen Vater und die 31-jährige Mutter aus Deutschland. Die Grossmutter soll für fünf Jahre ins Gefängnis und ebenfalls 15 Jahre des Landes verwiesen werden. Ein Termin für den Prozess steht noch nicht fest. (zen)