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«Klare Regeln, die Kinder schützen»: Das Kinderkopftuch soll aus den Aargauer Schulen verschwinden

Der Bundesrat will das Kinderkopftuch an Schweizer Schulen nicht verbieten. Grossratsmitglieder von SVP, FDP, Mitte und EDU fordern nun ein Verbot auf kantonaler Ebene – und sie nehmen nicht nur Schülerinnen ins Visier.

Die Diskussion über religiöse Kleidung und insbesondere das Kopftuch, das einige Musliminnen tragen, beschäftigt die Aargauer Politik regelmässig. 2010 forderte die SVP per Motion eine Änderung des Schulgesetzes, die den Erlass von Kleidervorschriften an Schulen regeln sollte. Der Vorstoss wurde nicht überwiesen. Drei Jahre später unternahm die damalige CVP-Fraktion den nächsten Versuch. Ebenfalls per Motion forderte sie den Regierungsrat auf, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die – nebst anderen Kleidervorschriften – das Tragen eines Kopftuches verbietet. Auch diese Motion scheiterte.

Mehr als zehn Jahre später versuchen es Adrian Schoop (FDP), Roland Haldimann (EDU), Daniele Mezzi (Mitte) und Nicole Burger (SVP) erneut. Am Dienstag haben die vier Grossratsmitglieder zwei Motionen eingereicht.

Weder Kippa noch Kopftuch am Arbeitsplatz

Mit der ersten Motion fordern sie eine gesetzliche Grundlage, die Angestellten der öffentlichen Hand während sie arbeiten «das Tragen auffällig religiös geprägter Kleidungsstücke und Symbole untersagt». Die Regel soll beispielsweise für Lehrpersonen, Polizistinnen und Polizisten oder Verwaltungsangestellte gelten. Sie sollen künftig am Arbeitsplatz weder Kopftuch noch Kippa oder Turban tragen dürfen. Einzig unauffällige religiöse Symbole, welche die Wahrnehmung der politischen und religiösen Neutralität des Staates nicht beeinträchtigen, sollen weiterhin erlaubt sein.

Die Motionärin und die Motionäre betonen, sie wollten mit dem Verbot nicht die Glaubensfreiheit einschränken, sondern sicherstellen, «dass staatliches Handeln für alle Bevölkerungsteile neutral, vertrauenswürdig und frei von religiöser Beeinflussung wahrgenommen wird». Sie betonen, dass es dem Gleichbehandlungsgebot widersprechen würde, wenn ein Verbot nur Lehrpersonen treffen würde. Religiöse Neutralität sei eine Pflicht, die das ganze Staatswesen betreffe. Deshalb soll das Verbot auch für RAV-Mitarbeitende, Staatsanwältinnen oder Steuerbeamte gelten.

Mädchen vor «religiösem Zwang» schützen

Mit der zweiten Motion sollen Mädchen vor «religiösem Zwang» geschützt werden. Schülerinnen unter 16 Jahren sollen an Schulen und Privatschulen keine «religiös geprägten Kleidungsstücke» tragen dürfen.

Auch die Forderung nach einem Verbot des Kinderkopftuchs ist nicht neu. Im Juni 2024 überwies der Nationalrat ein Postulat der Aargauer Mitte-Ständerätin Marianne Binder. Binder hatte den Vorstoss noch als Nationalrätin eingereicht. Sie argumentierte, das Kinderkopftuch widerspreche dem Ziel der Gleichberechtigung und hemme die Entwicklung und Bewegungsfreiheit muslimischer Mädchen. In Schulen sollte das Kinderkopftuch mit «sexualisierendem und diskriminierendem Charakter» deshalb keinen Platz haben.

Ende Oktober hat der Bundesrat den im Postulat geforderten Bericht publiziert. Darin kommt er zum Schluss, dass die Kantone für die Regelung des Kopftuches an öffentlichen Schulen zuständig seien. Ausserdem hält er fest, dass die Schule ihre Funktion in Bezug auf die Integration, Chancengleichheit und Gleichstellung auch ohne ein solches Verbot wahrnehmen könne. Dank Sportkopftuch oder Ganzkörperbadeanzügen könnten auch Mädchen, die ein Kopftuch tragen, am Turn- oder Schwimmunterricht teilnehmen, ohne dass ihre Religionsfreiheit eingeschränkt werde.

Für den Bundesrat ist klar, dass der Staat nur in das Erziehungsrecht der Eltern eingreifen kann und soll, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Sollte es zu einer solchen Situation kommen, beispielsweise weil Eltern ihre Tochter zwingen, ein Kopftuch zu tragen, könnten die zuständigen Behörden bereits heute Kindesschutzmassnahmen ergreifen.

Ab 16 sollen die Mädchen selber entscheiden

Für die vier Aargauer Grossratsmitglieder ist nach dem Bericht des Bundesrats klar: «Wenn der Bund sich zurückzieht, ist es Aufgabe der Kantone, klare und faire Regeln zu schaffen, die Kinder schützen.» Junge Mädchen dürften nicht unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit eingeschränkt werden. Ein kantonales Verbot schaffe klare Verhältnisse und sorge dafür, dass die Schule zum Schutzraum wird, an dem keine religiösen Erwartungen auf den Schultern der Kinder ausgetragen werden.

Das Kopftuchverbot soll nur für Schülerinnen unter 16 Jahre gelten. Nach dem 16. Geburtstag, wenn sie religiös mündig sind, sollen sie selbst entscheiden, ob sie aus eigener Überzeugung religiös geprägte Kleidung tragen wollen.

Der Regierungsrat hat nun drei Monate Zeit, zu den Forderungen Stellung zu nehmen. Danach kommt das Geschäft in den Grossen Rat.