Sie sind hier: Home > Gastronomie > Nach Horrorjahr direkt in den Gourmet-Olymp

Nach Horrorjahr direkt in den Gourmet-Olymp

Es war der 15. Dezember 2021, als mich schlechte Nachrichten ereilten. Das Restaurant Skins – nein, der gesamte Ausbau der alten Hero-Spenglerei in Lenzburg – sollte Anfang 2022 fertiggestellt sein und wir wollten loslegen. Rund zwanzig Mitarbeitende waren bereits angestellt: Neben dem Restaurantteam auch Ärzt:innen, Pflegefachpersonen und MPA. Denn in der alten Spenglerei befindet sich nicht nur ein Restaurant, sondern auch ein grosser medizinischer Trakt.

Was folgte, war ein Desaster. Nicht nur die Stadtbildkommission in Lenzburg, sondern auch die anhaltenden Lieferprobleme in der Covid-Endphase machten uns zu schaffen. Auf dem Dach der Spenglerei war eine Lüftungsanlage geplant – mit immensem Aufwand und einer ganzen Armee von Fachplanern geplant und budgetiert. Doch dann forderte die Stadtbildkommission eine Redimensionierung. Das kostete uns rund zwei Millionen zusätzliche Franken – und in Kombination mit den Lieferengpässen verzögerte sich die Eröffnung erheblich.

Erst im Juni 2022 konnten wir die alte Spenglerei in Betrieb nehmen. Neben den immensen Mehrkosten standen aber auch 20 Personen auf unserer Lohnliste, die nicht arbeiten konnten. Es war – um es freundlich zu sagen – das herausforderndste Jahr meiner Karriere.

Aber zurück zum Restaurant, denn wir hatten einen Plan. Wir wussten, dass wir gut kochen können. Dass wir das Potenzial für einen Michelin-Stern haben. Auch für Punkte beim «Gault-Millau». Aber so was braucht Zeit. Die anonyme Jury muss mehrfach testen, ein einzelner Besuch entscheidet nichts.

Unser Plan war deshalb: Start Anfang 2022, genug Zeit, um zumindest auf das Radar der grossen Gourmet-Guides zu kommen. Denn im Oktober finden jeweils die Michelin-Sterne-Verleihungen in Lausanne statt.

In unseren kühnsten Träumen hofften wir, dass zehn Monate reichen würden, um in einer Sonderkategorie wie «Newcomer des Jahres» eine Erwähnung zu finden. Und vielleicht – wenn die Gourmet-Götter ihren goldenen Staub auf uns niederrieseln liessen – war mit sehr viel Glück sogar ein erster Michelin-Stern denkbar. Vermutlich aber Bubenträumerei.

Michelin-Sterne werden selten vergeben. Im Aargau gab es jahrzehntelang keinen einzigen Stern. Inzwischen sind es immerhin zwei Restaurants mit einer Michelin-Stern-Bewertung. Für einen ersten Stern braucht es meist ein bis drei Jahre – selbst für ein Top-Fine-Dining-Restaurant. Für einen zweiten Stern vergehen oft viele weitere Jahre. In der ganzen Schweiz gibt es aktuell nur rund 20 Restaurants mit zwei Sternen. Drei Sterne sind die höchste Auszeichnung – weltweit tragen sie nur etwa 140 Restaurants.

Und: Sterne muss man sich verdienen. Jedes Jahr aufs Neue. Kaufen kann man sie nicht. Nach unserem Überraschungserfolg gab es zwar Stimmen, die behaupteten, wir hätten sie gekauft – aber das ist ausgeschlossen. Wir wissen bis heute nicht, wer die Tester sind.

Zurück ins Jahr 2022. Anfang Juni war Eröffnung. Die Michelin-Verleihung im Oktober? Abgehakt. Keine Chance. Das Restaurant? Leer. Ein heisser Sommer, keine Aussenplätze, und das «Skins – The Restaurant» war völlig unbekannt. Versteckt im alten Gewerbegebiet von Lenzburg, hinter dem Bahnhof.

Es war eine harte Zeit. Wenn sich nichts schnell ändert, war klar: Wir geraten in noch grössere Schwierigkeiten. An manchen Abenden mussten wir das Restaurant wegen ausbleibender Gäste schliessen. Ich sass dann alleine an einem Tisch und habe mir – ganz ehrlich – den Frust weggesoffen. Alkohol war ja genug da.

Dann kam die Überraschung: Ende September – eine Einladung von Michelin zur Gala in Lausanne. Man muss wissen: Viele Gastronomen werden eingeladen, gewinnen aber nichts. Vielleicht wollte man uns einfach mal «Michelin-Luft» schnuppern lassen. Wir fuhren also hin – ich hatte mich nicht einmal besonders schick gemacht.

Gwendal Poullennec, der internationale Direktor von Michelin, eröffnete die Gala. Zuerst wurden alle Sonderpreise vergeben – wir waren nicht dabei. Dann kamen die neuen Ein-Stern-Restaurants. 30 an der Zahl. Unter anderem auch das Restaurant Fahr aus Künten – unser Nachbar im Kanton.

Wir wollten gerade aufstehen, uns ein Bierchen an der Bar gönnen – da wurden die Zwei-Sterne-Restaurants verlesen.

Und dann geschah es – ein Moment, den ich nie vergessen werde:

«Straight to 2 Stars … Skins – The Restaurant from Lenzburg!»schallte es aus den Boxen.

Kevin Romes, unser Küchenchef, und seine rechte Hand Pascal Hobler standen plötzlich im Rampenlicht. Tränen des Glücks liefen uns über die Wangen. Man kann sich die Emotionen kaum vorstellen. Nach diesem Horrorjahr direkt in den Gourmet-Olymp geschossen zu werden. Eine Leistung, die weltweit wohl einmalig ist. Uns ist kein anderes Restaurant bekannt, das in nur vier Monaten von null auf zwei Sterne kam.

Das sind die Momente im Leben, die man nie vergisst.

Ich liebe diese Geschichte. Sie erzählt von den Tiefen und Höhen des Unternehmertums. Das Restaurant ist seither gut gebucht. Und auch Skinmed hat alle Krisen hinter sich gelassen. Die alte Spenglerei läuft – wie ein gut geöltes Maschinchen.

Der Autor Dr. Felix Bertram, 46, ist ärztlicher Leiter und Inhaber von Skinmed, dem Zentrum für Dermatologie und plastische Chirurgie in Aarau. Er lebt im Raum Lenzburg.