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Leben über den eigenen Verhältnissen: Darum hat die Credit Suisse ausgezockt 

Die zweitgrösste Schweizer Bank schmilzt in atemberaubendem Tempo dahin. Das Management verfolgt einen anspruchsvollen Restrukturierungsplan. Die Umsetzungsrisiken sind hoch.

Es scheint, als wären bei der Credit Suisse gerade alle Dämme gebrochen. Die Bank präsentiert einen Jahresverlust von 7,3 Milliarden Franken – fast so viel wie 2008, im dunkelsten Jahr der globalen Finanzkrise. Sie erleidet einen Umsatzeinbruch um einen Drittel, der mit Blick auf die Multimilliarden-Archegos-Pleite und das Greensill-Debakel in einem bereits sehr schlechten Vorjahr noch dramatischer wirkt als das tiefrote Reinergebnis. Und schliesslich ziehen Kunden – allen voran die Superreichen – Gelder im Umfang von über 120 Milliarden Franken ab – 90 Prozent davon im Schlussquartal, als auf einschlägigen Internetforen Gerüchte über eine gefährliche Liquiditätsverknappung der Bank die Runde machten.

Die Credit Suisse steckt im Überlebenskampf. Die extreme Beschleunigung, mit der sich die Spirale vor einigen Monaten nach unten zu drehen begonnen hatte ist nicht nur für Laien atemberaubend. Man kann es sich leicht machen und den spektakulären Absturz der Bank mit Einzelereignissen erklären. Viel Pech oder ein bisschen zu wenig Glück hier und dort und ab und zu auch eine Fehlentscheidung, so hat sich das Credit-Suisse-Management während Jahren aus der Verantwortung geredet.

Immer natürlich in verklausulierter Form. Ex-CEO Thomas Gottstein sprach von «idiosynkratischen Ereignissen», als er die Riesenverluste und die schlimmen Reputationsschäden erklären musste, die sich die Bank mit dem Archegos- und dem Greensill-Deal eingehandelt hatte. Dabei liesse sich der griechische Zungenbrecher ganz einfach mit «Pech» übersetzen. Nur: Gottstein wusste natürlich, dass er sich und seine Bank mit einer derart lapidaren Entschuldigung der Lächerlichkeit preisgeben würde.

So schaffte es die Credit Suisse während Jahren, das tieferliegende Problem tot zu schweigen. Die Bank lebte während vieler Jahre weit über ihren Verhältnissen. Manchmal fiel es nicht auf, weil ihr die Märkte gerade in die Hände spielten. Immer wieder trat das Problem aber auch offen zu Tage. Zum Beispiel vor zehn Jahren, als die Nationalbank in ihrem jährlichen Finanzstabilitätsbericht die sowohl im Vergleich zur UBS als auch im Vergleich mit anderen Grossbanken unterdurchschnittliche und eigentlich ungenügende Kapitalausstattung der Credit Suisse angemahnt und damit einen grossen Wirbel ausgelöst hatte.

Der tiefere Grund für dieses wiederkehrend Muster ist simpel. Die Credit Suisse lebte während Jahren über ihren Verhältnissen. Sie ging Risiken ein, die sie sich nicht tragen konnte. Sie leistete sich anspruchsvolle Kunden, denen sie vernünftigerweise nicht das bieten konnte, was diese verlangten. Sie zahlte ihren Tradern und Managern Boni, die in keinem gesunden Verhältnis zu den Dividenden standen, die sie den Aktionären zur Abgeltung derer Anlagerisiken zahlen musste. Diesem aufgeblasenen System lässt das runderneuerte Management jetzt gezwungenermassen die Luft ab. Denn für die Kulissenschieberei von damals ist schlicht nicht mehr genügend Kapital vorhanden.

Während sich aufgeblasene Umsätze sofort in Luft auflösen, bleiben die dahinterstehenden Kosten länger in der Erfolgsrechnung stehen. So muss man auch den jüngsten Milliardenverlust der Bank verstehen dem im laufenden Jahr aller Voraussicht nach ein weiterer Milliardenverlust folgen wird. Beim Rückbau der Credit Suisse arbeiten CS-Chef Körner und Co. in einem verrückten Wettbewerb gegen die Uhr. Kommt die Restrukturierung zu langsam voran erodiert das Vertrauen der Kunden und Investoren weiter – die Verluste bleiben hoch und das Kapital wird wieder knapp. Jeder Restrukturierungsplan ist einem sogenannten Umsetzungsrisiko unterworfen. Bei der Credit Suisse ist diese fast schon mit den Händen zu greifen. Die Bank hat ausgezockt.