
Corona-Leaks: Eine Staatsaffäre, die erfolgreich verschleiert wird
Das Vertrauen unter den Mitgliedern des Bundesrates war dermassen erschüttert, dass die Magistraten vor den Sitzungen keine Berichte mehr über die Anträge der Kollegen einreichten. Die Bundesräte befürchteten, dass ihre Einschätzungen an Journalisten durchgestochen würden.
Das war während der Pandemie. Zur Vertrauenskrise in der Landesregierung kam es, weil vor allem der «Blick» und der «Tages-Anzeiger» oft von den Bundesratsbeschlüssen zur Corona-Politik wussten, noch bevor die Entscheide gefällt wurden.
Die «Schweiz am Wochenende» machte 2023 publik, wie der damalige Kommunikationschef von Bundesrat Alain Berset in engem Kontakt zum Chef des Medienunternehmens Ringier stand und diesen mit vertraulichen Informationen versorgte. Ringier-Chef Marc Walder empfahl seinen Redaktionen, den Kurs des Bundesrates im Umgang mit Covid wohlwollend zu begleiten.
Der Sonderermittler geht allzu rustikal ans Werk
Die sogenannten Corona-Leaks lösten einen grossen Wirbel aus und veranlassten die Geschäftsprüfungskommission des Bundesparlamentes, eine Untersuchung anzustrengen. Juristisch bleibt die Angelegenheit aber ohne Folgen. Das Strafverfahren gegen Bersets Medienchef wird jetzt eingestellt.
Zwei Faktoren trugen dazu bei, dass die Justiz bei der Abklärung der Vorgänge nicht vorankam. Der Sonderermittler Peter Marti wandte rustikale Methoden an und zeigte eine merkwürdige Neigung, Vermutungen als Beweise darzustellen.
Damit machte sich Marti angreifbar. Gerichte wiesen ihn in die Schranken. Der ausserordentliche Staatsanwalt gab die Ermittlungen auf.
Zweitens entschied das Bundesgericht, dass beschlagnahmte Geräte und Daten nicht ausgewertet werden dürfen. Das Gericht verwies dabei auf den journalistischen Quellenschutz. Es betonte die «Wächterfunktion» der Medien. Journalisten sollten Missstände möglichst ungehindert aufdecken können.
Das klang gut, aber das Bundesgericht hatte sich mit dieser Einschätzung völlig verrannt. Es verkannte, dass der Quellenschutz im vorliegenden Fall nicht dazu diente, Missstände ans Tageslicht zu bringen – sondern sie im Verborgenen zu halten. Es ging hier nicht darum, dass ein Medium aufdeckt, was bei einer staatlichen Institution falsch läuft. Es ging vielmehr darum, dass der Staat mit einem Medium kungelt: vorzeitige Information über geplante Massnahmen, als Gegenleistung eine freundliche Berichterstattung.
Die Kommission des Parlaments kratzt nur an der Oberfläche
Die Schweizer Öffentlichkeit hatte ein Interesse zu erfahren: Wie genau spannte das Innendepartement mit einem Medienhaus zusammen? Wie spielte sich die Kooperation ab, und in welchen Texten schlug sie sich nieder? Nach dem Richterspruch aus Lausanne war klar, dass die Corona-Leaks nie richtig aufgearbeitet werden.
Weil der Geschäftsprüfungskommission wesentliche Informationen nicht zugänglich waren, kratzte auch sie in ihrer Untersuchung nur an der Oberfläche. Das Gremium stellte zwar fest: Der CEO der Ringier AG habe vom ehemaligen Kommunikationschef des EDI «vertraulich klassifizierte Informationen» erhalten. Die Hintergründe blieben aber im Dunkeln.
Die Kommission erkannte, dass Berset von den Kontakten zwischen seinem Kommunikationsverantwortlichen und dem Ringier-Chef gewusst habe. Und die Gruppe rang sich zur Wertung durch: Es sei nur beschränkt nachvollziehbar, dass «der Departementsvorsteher im Wissen um diese Kontakte und die zahlreichen und wiederholt auftretenden Indiskretionen zu Geschäften des Departementes keine spezifischen Massnahmen in seinem Departement ergriffen hat.»
Die SP lenkt erfolgreich von der Rolle Alain Bersets ab
SP-Mitglieder der Kommission stemmten sich aber dagegen, dass die Rolle Bersets genau durchleuchtet wird. Sie verfolgten nicht das Ziel, den Geschehnissen auf den Grund zu gehen. Auf den Parteikollegen im Bundesrat sollte nicht zu viel Negatives abfallen. Das erreichten die Sozialdemokraten. Der Bericht der Kommission war so zahnlos, dass sich niemand lange damit aufhielt.
Was bleibt von den Corona-Leaks? Es ist die Geschichte einer staatlichen Institution, die in der Öffentlichkeitsarbeit jedes Mass verliert – und ein Medium findet, das sich vor ihren Karren spannen lässt. Sobald die Machenschaften ruchbar werden, setzen Vertuschungen, Beschönigungen und Ablenkungsmanöver ein.
Ja, es gab die Standleitung der Bundesstelle ins Medienhaus, aber von den Inhalten der zahllosen Telefonate und E-Mails hat der Chef selbstverständlich nichts gewusst. Die Justiz hilft dabei, die Aufklärung der Vorgänge schon im Ansatz zu stoppen. Die Corona-Leaks sind ein Lehrstück über eine systematische Verschleierung auf mehreren Ebenen.