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Die Zeichen stehen gut für die neuen Europa-Verträge – wenn der Bundesrat die Lehren aus dem EWR-Nein zieht

Nach jahrelangen Verhandlungen liegen die neuen bilateralen Verträge jetzt endlich vor. Einzelne Zugeständnisse der EU sowie die weltpolitische Grosswetterlage geben den Befürwortern Aufwind.

Aussenminister Ignazio Cassis war der einzige Bundesrat, der am Freitagnachmittag vor die Medien trat. Seit zehn Jahren mühen sich die Schweiz und die EU damit ab, das bilaterale Verhältnis zukunftsfest zu machen. Dass jetzt ein Vertragspaket vorliegt, hat etwas Historisches.

Hätte an diesem «wichtigen Tag» (Cassis) nicht auch die Bundespräsidentin auf die Bühne gehört? Karin Keller-Sutters Absenz irritiert. Dass die FDP-Parteikollegin für die Abstimmung nebst dem Volks- auch ein Ständemehr für nötig hält, ist ein offenes Geheimnis. Dass sie inhaltliche Vorbehalte gegenüber den Verträgen hat, ist bisher nicht mehr als ein Verdacht.

Räumt ihn die einflussreichste Person im Bundesrat nicht bald aus, wird es schwierig. Die Verträge haben nur dann eine Chance, wenn sich die sieben Bundesratsmitglieder geschlossen und leidenschaftlich dafür einsetzen. Das ist eine Lehre aus dem EWR-Nein. Der Beitritt scheiterte 1992 auch daran, dass drei Bundesräte – Koller (CVP), Stich (SP) und Villiger (FDP) – ihre Skepsis nicht verhehlten, nachdem vier Bundesräte die Abstimmung zu einem Plebiszit über einen EU-Beitritt erhoben hatten. Es waren dies Cotti (CVP), Felber (SP), Delamuraz (FDP) und Ogi (SVP).

Eine solche Spaltung darf sich nicht wiederholen. Bemerkenswert ist, dass Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) diese Woche am Industrietag vor 1500 Unternehmern ein überzeugend wirkendes Plädoyer für das Vertragspaket ablegte. Sein Parteikollege Albert Rösti und – eben – Keller-Sutter lassen solche Stellungnahmen noch vermissen.

FDP und Mitte vor dornenvollem Weg

Anders als der Bundesrat, der Führung zeigen muss, sollen sich die Parteien Zeit nehmen. Apodiktische Express-Positionsbezüge zu 1800 Seiten Vertragstext sind unseriös. Bei der SVP war im Voraus klar, dass sie Nein sagt, bei der GLP stand das Ja schon von Anfang an fest. Die SP tendiert nach den Verbesserungen beim Lohnschutz zum Ja.

Entscheidend werden FDP und Mitte sein. Erste Analysen der Verträge bergen mehr positive als negative Überraschungen. Bei der umstrittenen Unionsbürgerrichtlinie konnte die Schweiz der EU Zugeständnisse abringen, ebenso bei der Einwanderungs-Schutzklausel. Und die Vorteile eines Stromabkommens sind offensichtlich.

Darum würde es überraschen, wenn die beiden bürgerlichen Parteien am Ende nicht für die Verträge wären. Der Weg dorthin kann für sie dornenvoll sein, aber so ist Demokratie: Die Parteimitglieder und am Ende das Volk müssen mitgenommen werden.

Helfen dürften die geopolitischen Veränderungen. 1992 war gerade der Kalte Krieg vorbei, der ewige Frieden schien ausgebrochen. 2025 befinden wir uns in ernsteren Zeiten. Das Bewusstsein hat sich verstärkt: Die Schweiz ist wirtschaftlich und sicherheitspolitisch Teil von Europa.