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«Die Aufführungen kosten keinen Franken Steuergeld»: Lenzburger Gefängnisdirektor zum Theater mit Insassen

Eine fast nackte Brust und eine Theateraufführung in der JVA Lenzburg haben bei bürgerlichen Grossratsmitgliedern für Aufregung und Fragen gesorgt. Einige davon hat Gefängnisdirektor Marcel Ruf bereits beantwortet – ohne vom Vorstoss im Parlament zu wissen.

Grossratsmitglieder von SVP, FDP und Mitte stellen dem Regierungsrat ein Dutzend Fragen zu Theateraufführungen mit Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Lenzburg. Diese betreffen die Inszenierungen, die Finanzen, die Organisation und die Sicherheit bei den Aufführungen, die von Regisseurin Annina Sonnenwald realisiert werden.

Die Politiker wollen unter anderem wissen, wie die Regisseurin ausgewählt werde und wie die Darsteller gecastet würden. Sie fragen, wie gross der finanzielle Aufwand sei und wohin der Erlös fliesse. Zudem geht es um die Sicherheitsvorkehrungen – und schliesslich um die Grundsatzfrage: «Braucht es eine Theateraufführung in einer JVA? Wenn ja, warum?»

Der Regierungsrat hat drei Monate Zeit, um die Interpellation zu beantworten – doch einige der Fragen lassen sich jetzt schon klären. So sagte Gefängnisdirektor Marcel Ruf im März 2024 in einem AZ-Interview zum Nutzen der Theateraufführungen: «Eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung ist ein Teil des gesetzlichen Auftrags, den wir haben.» Neben Sport, Basteln oder Malen gehöre auch Theaterspielen dazu. «Es ist eine Beschäftigung, die Körper und Geist fördert.»

Casting für das Gefangenen-Theater

Ruf führte aus, die Teilnahme am Theaterprojekt stärke die sozialen Kompetenzen, die Rücksichtnahme, Kritikfähigkeit, die Teambildung und das Selbstbewusstsein. «Die Gefangenen müssen zusammen das Stück erarbeiten, auf der Bühne reagieren, wenn einer einen Hänger hat, und es braucht Disziplin, die Texte in der Freizeit alleine auswendig zu lernen.» Er betonte, Resozialisierung sei ein wichtiger Aspekt, denn 95 Prozent der Gefangenen würden irgendwann wieder entlassen.

Annina Sonnenwald bei den Proben für die letzte Theateraufführung in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg im März 2024.
Bild: Sebastian Derungs

Auf die Frage, wer bei den Theaterstücken mitspielen dürfe, antwortete der Gefängnisdirektor: «Es dürfen keine psychischen Erkrankungen vorliegen. Für das aktuelle Stück musste man Deutsch können und fähig sein, Texte auswendig zu lernen.» Zudem müsse der Insasse noch inhaftiert sein, wenn die Aufführungen stattfinden, auch wenn das banal klinge. «Dann gibt es ein Casting, bei dem die Projektleiterin entscheidet, wer für eine Rolle geeignet ist», ergänzte Ruf.

Anfang März 2024 wurde «Amüs Busch» in der JVA Lenzburg aufgeführt,gespielt wurde in einer nüchternen Turnhalle, vor einer Tribüne mit 120 Plätzen. Besucherinnen und Besucher müssen ihre Personalien angeben, einen amtlichen Ausweis vorlegen und den Metalldetektor passieren. Bei einem Probenbesuch der AZ sagte Ruf, die Produktionen müssen übrigens selbsttragend sein. Sie werden finanziert durch Eintritte und Spenden, nicht etwa durch Steuergelder des Kantons.

Es gab vereinzelt Widerstand beim Personal

Auch in einem Interview mit «ellexx», der Finanzplattform für Frauen,das erst vor einer Woche publiziert wurde, wurde das Thema angesprochen. Ruf sagte, bis 1967 habe es in Lenzburg schon Theateraufführungen gegeben, er habe diese im Jahr 2011 lediglich wieder aktiviert. Das amerikanische Gefängnis San Quentin habe 1957 mit Theaterspielen angefangen, in Deutschland, Italien oder Rumänien seien solche Aufführungen in vielen Gefängnissen Standard.

Szenenbild aus dem Stück «Amüs Busch», das letztes Jahr mit Gefangenen in Lenzburg aufgeführt wurde.
Bild: Sebastian Derungs

«In der Schweiz ist es schwierig, Theater in die Gefängnisse zu bringen», sagte Ruf. Und er räumte ein: «Obwohl bei uns viele Mitarbeiter mit Enthusiasmus dabei sind, gab es vereinzelt Widerstand beim Personal.» Dabei ging es um den zeitlichen Aufwand für die Aufführungen, die alle zwei Jahre an zwölf Abenden hintereinander stattfinden. «Da sitzt man zusätzlich zum Arbeitstag bis um halb neun Uhr abends in der Anstalt», erläuterte der Gefängnisdirektor.

Bei den Gefangenen habe es auch negative Reaktionen gegeben, zum Beispiel: «Das ist doch was für Frauen oder Homosexuelle.» Doch nach der ersten Ausführung hätten sich diese Vorbehalte schnell gelegt. «Alle haben gemerkt, dass Theater Arbeit bedeutet. So kam es zum Sinneswandel beim Personal, weg von der Skepsis, hin zur Freude», erinnert sich Ruf. An der Entschädigung kann dies nicht liegen: «Die Billett-Einnahmen bekommt die Regie. Mehr Lohn gibt’s nicht», sagte der Gefängnisdirektor.