
Kopfbedeckungen aus geflochtenem Gold: Heimatmuseum zeigt kunstvolle Strohhüte
Geht das Museum ein bisschen fremd? «Diese Frage habe ich erwartet», sagt Gabriela Rüegger und schmunzelt. Die Leiterin des Rothrister Heimatmuseums überlegt kurz und meint, dazu müsse sie etwas ausholen. Das Heimatmuseum habe vor ziemlich genau einem Jahr die Ausstellung zur «Industrialisierung und Elektrifizierung in Rothrist» eröffnet. Thematisch und zeitlich schliesse die Ausstellung zur Strohflechterei genau hier an. Die Strohflechterei entwickelte sich im damals noch jungen Kanton Aargau und da vor allem im Freiamt mit Zentrum Wohlen zu einer der bedeutendsten Industrien. «Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass die Strohgeflechtproduktion in unserer Region keine Bedeutung hatte», gibt Gabriela Rüegger unumwunden zu, im bernischen Teil des Aargaus war in erster Linie die Baumwollindustrie präsent. Es sei aber durchaus erlaubt, zur Abwechslung ein wenig über den Tellerrand hinauszublicken, meint Rüegger weiter, und zudem stamme ein Grossteil des Ausstellungsguts ja auch aus dem Fundus des Rothrister Heimatmuseums.
Dazu kommen zahlreiche bezaubernde Leihgaben aus dem Schweizer Strohmuseum Wohlen.

Bild: Thomas Fürst
Der Strohhut als Exportschlager
Wie aber kamen die Objekte aus dem Freiamt nach Rothrist? Dem Heimatmuseum Rothrist wurde nach der im April 2022 erfolgten Auflösung des Vereins Ortsmuseum Dottikon ein Teil der Sammlung angeboten. «Es handelte sich dabei insbesondere um das Firmenarchiv der J. L. Fischer’s Söhne, Dottikon, samt umfangreicher Musterkollektionen», erläutert Gabriela Rüegger. Die besagte Firma wurde 1828 von Jacob Leonz Fischer als Detailhandels-Firma gegründet, daran angegliedert eine kleine Strohhutmanufaktur. Die Produktion von Strohhüten entwickelte sich gut. Die kleine Manufaktur konnte schon bald Heimarbeit vergeben und Hilfskräfte einstellen. 1841 gingen erste Exporte nach Deutschland, 1850 erfolgte der Neubau eines Geschäftshauses und schon bald erschloss die Firma neue Exportmärkte in ganz Europa und den USA. 1930 musste die Aktiengesellschaft J. J. Fischer’s Söhne, wie sie seit 1908 hiess, liquidiert werden. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatte sich die Mode gewandelt, der Strohhut stark an Popularität verloren. Da half auch die letzte Hochkonjunkturphase zwischen 1923 und 1927 nicht mehr, als der Spitzhut in den USA eine gewaltige Popularität erreicht hatte. Dank dem letzten Boom produzierte die Freiämter Strohgeflechtindustrie nochmals bis zu 500’000 Hüte im Jahr, zählte 350 Beschäftigte und vergab Arbeit an rund 4000 Heimarbeiterinnen.

Bild: Thomas Fürst
Der Aufstieg und Untergang der Fischer Dottikon steht exemplarisch für die Geschichte der Freiämter Strohgeflechtproduktion, die im frühen 19. Jahrhundert einen starken Aufschwung erlebte. Als Pionier und Förderer gilt dabei der Wohler Industrielle Jacob Isler (1758–1837), der unter anderem Flechtschulen gründete und unter dessen Führung acht Wohler Händler bereits 1783 eine erste Handelsgesellschaft gründeten. Das Wachstum der Strohgeflechtindustrie verlief allerdings nicht gleichmässig. Immer wieder machten dem Industriezweig wechselnde Modetrends und wirtschaftliche Krisen schwer zu schaffen. So zum Beispiel um 1820, als das dunkle Freiämter Roggenstroh als Rohmaterial weniger gefragt war als das stark aufkommende weisse Weizenstroh, welches aus dem Freiburgischen und aus dem Ausland kam. Doch die Freiämter stellten ihre Anpassungsfähigkeit immer wieder unter Beweis. Einerseits färbten sie ihr Stroh selbst, anderseits importierten sie weisse Weizenhalme ab 1830 in grösseren Mengen und zudem begannen die Strohfabrikanten auch, ihre Produkte zu veredeln. Statt Hüte vollständig selbst zu flechten, wurden vermehrt importierte Geflechte zu Hüten verarbeitet und neue Materialien wie Rosshaar, Bast, Hanf, Baumwolle und Ramie mitverarbeitet. Damit sicherten die Freiämter nicht nur ihre Wettbewerbsfähigkeit, die neuen Produkte halfen auch, den amerikanischen Markt zu erschliessen. Mit der Einführung der Bordürenweberei und der Erfindung des Flechtstuhls setzte ein erster, zaghafter Fabrikbetrieb ein. Als die Fabrik- die Heimarbeit zu ersetzen begann, flochten allein im Aargau – gemäss der aargauischen Fabrikstatistik von 1857 – rund 24’000 Heimarbeiterinnen für die Wohler Exporteure. Definitiv eine Zeit, in der Stroh Gold wert war. Wirtschaftskrisen und der zunehmende Druck der billiger produzierenden japanischen und chinesischen Konkurrenz führten dazu, dass die Zahl der Heimarbeiterinnen 1882 unter 5000 sank. Danach ging es wieder leicht aufwärts, ohne dass die frühere Blüte je wieder erreicht wurde. Ab den 1960er-Jahren brach das Nordamerika-Geschäft als letzte Stütze der aargauischen Strohgeflechtindustrie endgültig zusammen. Hut tragen war aus der Mode gekommen. Mehrere Firmen mit teils über 100-jähriger Tradition mussten ihre Geschäftstätigkeit einstellen. Geblieben ist im Freiamt noch ein Hutfabrikant, die 1919 gegründete Hägglinger Hutwerkstatt Risa. Sie ist auch die letzte in der ganzen Schweiz.
Daten
Die Ausstellung im Heimatmuseum Rothrist wird am Sonntag, 7. September eröffnet und kann in der Folge an zehn weiteren Sonntagen, letztmals am 15. März 2026, besichtigt werden.
Das Museum ist jeweils von 14 bis 17 Uhr offen. An zahlreichen Sonntagen sind «Special Events» eingeplant. Weitere Infos unter www.museum-rothrist.ch.

Bild: Thomas Fürst
Eine Ausstellung fürs Auge
«Hut Mania» – die Ausstellung im Rothrister Museum lässt Besuchende zuerst ins Büro der ehemaligen Fischer Dottikon eintreten. Dort finden sich Fotos der produzierten Hüte, mit deren Hilfe der Aussendienst auf Kundenbesuch ging. Stempel, mit denen die Hüte gezeichnet wurden. Preislisten und Arbeitsverträge. Und natürlich auch Muster der verschiedenen Hüte. Und schon sind Besuchende auf dem Sprung in die Produktion. Was darf es sein: Weich genähte oder steif geknüpfte Strohhüte? Die erste Sorte Strohhut wird aus gewalztem Strohgeflecht-Band spiralförmig zu einem Hut zusammengenäht und fortlaufend auf hölzernen Kopfformen in Form gebracht. Rund 30 Meter Strohgeflecht-Band braucht es für einen Hut. Deutlich aufwendiger in der Herstellung ist ein steif geknüpfter Strohhut wie etwa der Canotier, der wegen seines Aussehens auch Kreissäge genannt wird. Um ein Knüpfböckli herum werden da befeuchtete Strohhalme gebogen und fortwährend zusammengeknüpft. Eine gewaltige «Büez», rund 2700 Knoten brauchts etwa für einen Canotier. Wer die Hutherstellung lieber live erleben möchte, schaut sich eines der Hutherstellungs-Videos von Tele M1 an, die in der Hutwerkstatt von Risa gedreht wurden.
Zum Abschluss werden die Hüte verziert. Da ist im Rothrister Heimatmuseum unheimlich viel Material vorhanden, das in der neuen Ausstellung gezeigt wird. Das reicht von einfachen Stoffbändern bis hin zu fein geflochtenen Kunstwerken. Aus Roggenstrohhalmen geflochtene Agréments sind in grosser Zahl vorhanden. «Die Herstellung solcher Schmuckteile beherrscht heute kaum mehr jemand », sagt Gabriela Rüegger, umso schöner sei es, dass man solche Exponate in Rothrist besichtigen könne.
Zum Abschluss des Rundgangs das Highlight: Mit wunderschönen Leihgaben aus dem Schweizer Strohmuseum Wohlen wird gezeigt, wie vielfältig und kunstvoll die Strohhutproduktion im Freiamt war und wie sie sich im Verlauf der Jahrzehnte veränderte. Von einfachen Hüten mit simpler Schutzfunktion hin zum modischen Kopfschmuck.