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«Sinnlose Investitionsorgie»: Ex-SBB-Chef zerlegt Bahnausbau – und rechnet vor, wie die Kosten explodieren

Und wieder werden die Kosten für den Bahnausbau nach oben korrigiert – um Milliarden. Der frühere SBB-Chef Benedikt Weibel spricht von einer fatalen Fehlplanung, die Finanzhaushalt, Klimaziele und Vernunft gleichermassen ausbremst.

Es ist erst ein gutes Jahr her, doch die Zahlen sind schon wieder veraltet und überholt: Im März 2024 teilte das Verkehrsdepartement (Uvek) mit, dass der Bund 1,7 Milliarden Franken für den Ausbau des Bahnknotens Basel investiert. Dies im Rahmen des Angebotskonzepts 2035. Langfristig brauche es in Basel eine neue unterirdische Verbindung, «Herzstück» genannt. Das dafür erforderliche Investitionsvolumen beträgt9 Milliarden Franken– «zuzüglich der Kosten für den Ausbau auf den Zulaufstrecken».

Dann, im November 2024, verkündete das Departement, dass die für das Angebotskonzept ausgewiesenen Kosten von 16 Milliarden Franken nicht ausreichen: «Auf Fachebene BAV/SBB wurde ein zusätzlicher Finanzbedarf von bis zu 14 Milliarden Franken ermittelt.»

Damit nicht genug. Eben gerade, am 23. April 2025, meldeten die SBB, dass der Vollausbau des «Herzstücks» gemäss einer Vorstudie Investitionen im Umfang von «total rund14 Milliarden Franken» erfordert (ohne den Ausbau der Zulaufstrecken).

Unser Gastautor Benedikt Weibel war von 1993 bis 2006 Generaldirektor der SBB. Ausserdem war er von 2009 bis 2022 Aufsichtsvorsitzender der österreichischen WESTbahn.

Man staunt über diese absurd hohen Summen, die im beiläufigen Tonfall der Unausweichlichkeit mitgeteilt werden.

Man stellt sich Fragen über die Professionalität von Projektverantwortlichen, die die geschätzten Kosten ihrer Projekte innert kürzester Zeit um 88 bzw. 55 Prozent nach oben korrigieren.

Man staunt über die Nonchalance, mit der berichtet wird, was mit dieser Investitionslawine bezweckt wird: Mit den 30 Milliarden des Angebotskonzepts 35 sollen «auf rund 60 Strecken neue Viertel- und Halbstundentakte ermöglicht und die Anzahl Sitzplätze um rund 20 Prozent erhöht werden». Die 15,1 Milliarden für die Projekte im Raum Basel «ermöglichen neue Angebote und grenzüberschreitende Durchbindungen» – was voraussetzt, dass der Ausbau der Zufahrtslinien finanziert und realisiert wird. Mehr ist über die künftigen Angebote nicht zu erfahren. Die finanziellen Auswirkungen der Projekte bleiben unerwähnt.

Am meisten aber staunt man über die Reaktionen nach diesen Verlautbarungen. Es sind Nichtreaktionen. Kein Aufschrei, keine Entrüstung, keine parlamentarischen Vorstösse. Obwohl diese Vorgänge jedem Prinzip des haushälterischen Umgangs mit Steuermitteln spotten. Obwohl die riesigen Summen die Verschuldung der SBB ins Unermessliche treiben würden.

Und was ist mit Altersvorsorge, Gesundheit, Armee?

Diese Investitionsorgie widerspricht jeder Vernunft. Wir leben in einer Zeitenwende, die von grosser Unsicherheit geprägt ist. Es stehen gewaltige Aufgaben vor uns: Altersvorsorge, Verteidigung, Gesundheitswesen. Die Offiziere der Armee fordern allein für die Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit 100 Milliarden Franken. Nie hat das Credo von der Konzentration auf das Wesentliche eine grössere Bedeutung gehabt.

Diese Investitionsorgie widerspricht jeder Logik. Das Klima- und Innovationsgesetz, über das wir eben abgestimmt haben, verlangt Im Verkehr bis 2040 gegenüber 1990 eine Verminderung der Treibhausgasemissionen um 58 Prozent, bis 2050 um 100 Prozent. Zwischen 1990 und 2023 hat der Verkehr seinen Ausstoss um ganze 7,3 Prozent reduziert, weit weniger als jeder andere Sektor. Zwischen 2022 und 2023 hat er seinen Ausstoss sogar erhöht. 33,6 Prozent beträgt der Anteil des Verkehrs an der Gesamtheit der Emissionen. 1990 waren es noch 27 Prozent.

Die Ziele sind ausserordentlich ambitioniert. Sie lassen sich nur erreichen, wenn die Eisenbahn so rasch wie möglich einen deutlich höheren Anteil am Verkehr übernimmt. Gerade das verhindert die angedachte Investitionslawine.

Bauvorhaben gefährden Klimaziele

Wenn das Netz exzessiv mit Baustellen zugepflastert wird, werden die Fahrpläne nicht besser, sondern schlechter. Schon heute. «Die Bahninfrastruktur im Westen Berns wird ausgebaut, damit mehr Züge verkehren können. Die Arbeiten dauern mehrere Jahre. Ab dem April 2025 entfällt die S-Bahn-Linie S51 für mehrere Jahre. Die drei Bahnhöfe Brünnen Westside, Bümpliz Nord und Stöckacker werden weniger bedient als bisher.» Derartige Meldungen werden multipliziert.

Die allgegenwärtige Diskussion um künstliche Intelligenz findet in der Bahnpolitik nicht statt. Dabei gibt es kaum einen naheliegenderen Anwendungsfall als ein spurgeführtes Transportsystem. Die Digitalisierung wird das Gesicht der modernen Eisenbahn verändern. Kabel und Signale verschwinden. Anstelle von Hunderten Stellwerken treten wenige Datenzentren. Die Zugsteuerung übernimmt die KI. Die Digitalisierung bietet viele Möglichkeiten, die Kapazität auf dem bestehenden Netz bereits mittelfristig signifikant zu erhöhen. Ein entsprechendes Projekt sucht man in dem Wust von Ausbauprojekten vergeblich.

Es ist an der Zeit, dass die Zeitenwende auch die Bahnpolitik erfasst.