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Bezirksgericht spricht Bauer vom Vorwurf der Tierquälerei frei – Staatsanwaltschaft wird kritisiert

Ein Landwirt aus dem Bezirk Kulm erhielt einen Strafbefehl, weil er wochenlang ein krankes Kalb nicht dem Tierarzt gezeigt haben soll. Seine Einsprache hat sich schliesslich vollends gelohnt.

Er könne es fast nicht glauben. Das sagte der 53-jährige Ruedi (Name geändert), als er am Dienstag auf der Anklagebank des Bezirksgerichts Kulm sass.

Ruedi ist Landwirt in der Region und mästet auf seinem Hof seit einem Vierteljahrhundert Kälber. Und nun soll er, mit tadellosem Leumund, den ihm der geschäftsführende Gerichtspräsident Christian Märki ebenfalls attestierte, wegen mehrfacher Tierquälerei verurteilt werden?

Das sah zumindest die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm vor und sprach Ruedi mittels Strafbefehl schuldig. Er soll vorsätzlich unterlassen haben, ein Kalb tierärztlich behandeln zu lassen. Ein Kalb mit einem lahmen und stark geschwollenen Bein, das es nicht mehr belasten konnte.

Deshalb habe das Tier wahrscheinlich nicht mehr richtig essen können. Ruedi habe das auffallen müssen, dennoch habe er es nicht dem Tierarzt gezeigt und das Kalb damit «während mehreren Wochen starken Schmerzen und gravierendem Leiden ausgesetzt.»

Schliesslich habe er das Kalb statt in Behandlung in den Schlachthof nach Zürich gebracht, obwohl es nicht mehr transportfähig gewesen sei. So habe er in Kauf genommen, dass das Tier durch den Transport zusätzlich leidet. Im Schlachthof wurde das Tier sofort getötet, danach landete es zwecks Obduktion im Institut für Veterinärpathologie der Universität Zürich.

Für die mehrfache Tierquälerei verurteilte die Staatsanwaltschaft Ruedi zu einer bedingten Geldstrafe von 80 Tagessätzen à 60 Franken (4800 Franken) und einer Busse von 900 Franken. Mit der Strafbefehlsgebühr und den Polizeikosten hätte Ruedi also 1823.85 Franken bezahlen müssen. Hätte, denn er erhob Einsprache.

Staatsanwaltschaft hat etwas falsch verstanden

Vor Gericht erschien Ruedi zwar ohne Verteidiger, dafür mit einer guten Verteidigung: einem sachverständigen Zeugen. Der ist Tiermediziner und – offenbar geht das – bei ebenjenem Kälberzüchter angestellt, der seine Kälber auch auf dem Hof von Ruedi mästen lässt. Der Landwirt ist also gar nicht Eigentümer der Kälber, er mästet sie nur und wird dafür bezahlt.

Der Tiermediziner war denn auch der Ansicht, Obduktionen von Tieren seien immer mit Vorsicht zu geniessen. Besonders wenn seit dem Tod viel Zeit vergangen sei – in Zürich waren es seit der Tötung des Kalbs immerhin drei Tage. In dieser Zeit könnten Prozesse im Tier weiterarbeiten, weshalb die Obduktion dann kein genaues Bild der Lebensumstände vor dem Tod erbringe.

Und auch Ruedi sagte aus, die Anschuldigungen seien «jenseits von Gut und Böse»: Es stimme praktisch nichts in der Anklage, wie das überhaupt sein könne, fragte er rhetorisch. Er habe am Tag des Transports festgestellt, dass das Tier humpelt, und habe das sofort dem Eigentümer gemeldet.

Richter Märki sprach Ruedi schliesslich frei. Die Anklage behaupte, er habe vorsätzlich gehandelt – dabei habe er als Landwirt ja ein wirtschaftliches Interesse am Wohlergehen der Tiere. Zudem habe der Obduktionsbericht bestätigt, dass das Tier sich in gutem Ernährungszustand befunden habe. Zuletzt sei den Akten zu entnehmen, dass Ruedi das Tier nicht selber nach Zürich gefahren habe. Da handle es sich wohl um ein Missverständnis.