
«Ich erlebte Gegenwind in Orkanstärke»: Roman Signer erhält mit 87 die erste grosse Ausstellung in seiner Heimat Appenzell
Der Rauch breitet sich bogenförmig vor einem dichten Waldstück aus. Kurz darauf ist diese vergängliche Zeichnung, die der Landschaft mit einer Explosionsschnur eingeschrieben wurde, schon wieder verpufft und der Super-8-Film zu Ende.
Roman Signer hat ihn 1978 im Glandenstein gedreht. Die Lichtung am Ende des Weissbachtals nahe Weissbad ist das wichtigste Freiluftatelier des weltweit renommierten Künstlers, in dessen Schaffen die Naturkräfte eine wichtige Rolle spielen. «End de Wölt», Ende der Welt, nennt man in Appenzell diesen Ort wegen seiner Abgeschiedenheit.
Künstler mit «hartem Grind»

Bild: Roman Signer
«Bogen» und viele weitere Filme Roman Signers sind aktuell in der Kunsthalle Appenzell zu sehen. Den Schwerpunkt der Ausstellung bilden Werke, die in und um Appenzell entstanden sind. «Filme» heisst die Schau lapidar, angelehnt an die simplen Werktitel Roman Signers. Es ist seine bisher grösste Soloshow in Appenzell und erstreckt sich über drei Stockwerke.
87 Jahre alt musste der Künstler werden, bis er dies erleben durfte. Lange begegnete man seiner Kunst in Appenzell, wo er aufgewachsen ist, mit Unverständnis: «Gegenwind in Orkanstärke habe ich erlebt», sagt er beim Rundgang durch die Ausstellung, «aber ich hatte einen harten Grind.» Es ist berührend, die Filme nun dort sehen zu können, wo sie gedreht wurden.
Der erste Film über eine Aktion Roman Signers entstand 1975, als dieser beim Filmschaffenden und Galeristen Hartmut Kaminski in Düsseldorf seine erste Ausstellung im Ausland hatte. Dieser drehte einen Film über eine von Roman Signers Skulpturen.

Filmstill: zvg
Danach kaufte der Künstler eine Super-8-Kamera und einen Projektor und begann selbst zu filmen: Mit dem Super-8-Film hatte er eine Möglichkeit gefunden, seine flüchtigen Skulpturen festzuhalten. Sie wurden zu einem eigenständigen Medium in seinem Schaffen: «Die Arbeit mit den Filmen hat mir einen neuen Blick auf meine Arbeit ermöglicht», wird Roman Signer im Saalblatt zitiert.
Die meisten Super-8-Filme stammen von ihm, wenige von Emil Grubenmann und dem 2014 verstorbenen Filmemacher Peter Liechti. Ab Anfang der 1990er-Jahre kam der Wechsel zum Video. Für Kamera und Schnitt war fortan Roman Signers Frau zuständig, die Künstlerin Aleksandra Signer. Assistent Tomek Rogowiec unterstützte sie dabei.
Bücherfischen in der Steinach
Stefanie Gschwend, Direktorin von Kunsthalle und Kunstmuseum Appenzell, hat den ersten Raum im Erdgeschoss jenen Filmen gewidmet, die in der näheren Umgebung gedreht worden sind. Viele im Glandenstein, aber auch beim imposanten Leuenfall, vor welchem der Künstler rote Ballone hat tanzen lassen. Nicht fehlen dürfen die berühmten Aufnahmen vom Kurhaus Weissbad: Dort öffnete der Künstler dank seiner Sprengkunst alle Läden gleichzeitig oder liess aus den Fenstern synchron Hocker herausschiessen.

Foto: Stefan Roher
Auch Roman Signer selbst tritt in seinen Filmen als Protagonist auf und schont sich nicht. Etwa, wenn er sich im silbernen Feuerschutzanzug 1000 Grad aussetzt. Das Existenzielle ist häufig Teil seiner Arbeit: Man erschauert, wenn sich in «Blauer Rauch» von 2016 auf einem Waldweg eine Drohne nähert, die eine blaue Wolke ausstösst. Oder wenn der Künstler 1981 eine ganze Brücke bei Urnäsch in Feuer hüllt.

Bild: Stefan Rohner
Die Ausstellung umfasst die ganze Ziegelhütte, die Filme wurden passend zur Umgebung ausgewählt. In der Bibliothek ist zu sehen, wie Roman Signer 1984 bei der Talstation der Mühleggbahn in St.Gallen Bücher in die Steinach wirft und am Ende des Steinachstollens beim Espenmoos wieder herausfischt.
Abnabelung mit Zündschnur
Im ersten Stock sind wichtige Arbeiten aus Roman Signers Schaffen zu sehen, die ausserhalb von Appenzell entstanden sind. Sie bilden eine kleine Retrospektive und sind sehr gut geeignet, sich einen konzentrierten Überblick zu verschaffen oder einen Einstieg in seine Kunst zu finden.
Zentral im Raum platziert ist «Aktion mit einer Zündschnur» von 1989. Während 35 Tagen liess Roman Signer eine Zündschnur von Appenzell nach St.Gallen entlang der Bahngeleise brennen. Sie markiert die Abnabelung des Künstlers von seinem Heimatort Appenzell und die Verbindung zu St.Gallen, seinem heutigen Lebensmittelpunkt.

Bild: Stefan Rohner
Vor dem Eingang zur Kunsthalle ist ein Warszawa platziert. Mit dem Oldtimer mit Baujahr 1959 hat der Künstler 2012 in der HAB Galerie in Nantes eine Reihe Regenschirme umgefahren. Das Video dazu ist im Foyer zu sehen. Den Warszawa hatte Roman Signer 2003 auf einem Roadtrip nach Polen entdeckt. Der Film, den der Filmemacher Aufdi Aufdermauer damals gedreht hat, wurde kürzlich nach 22 Jahren fertiggestellt undist ab 5. Juli im Kinok St.Gallenzu sehen.