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Nur 70 Gramm Foodwaste am Tag: Geht nicht? Diese Aargauer Haushalte beweisen das Gegenteil 

Wie viele Lebensmittel landen im Müll? 76 Aargauerinnen und Aargauer haben in der eigenen Küche nachgemessen. Das Resultat: Zwei Drittel weniger Abfall als der Schweizer Durchschnitt. Wie ein Familienvater und die Nachhaltigkeitsmanagerin beim Kanton den Befund beurteilen.

Alex Faber ist vor ein paar Wochen regelmässig an seinem Küchentisch in Wallbach gesessen. Vor sich eine Waage mit Rüeblischalen drauf. Oder Gurkenschalen. Oder unansehnlichen Früchten. Er hat dies aus gutem Grund getan: Er wollte nämlich wissen, wie viel Nahrungsmittel er und seine vierköpfige Familie wegwerfen. Solches wollte auch der Kanton Aargau in Erfahrung bringen – und er hat jetzt Klarheit.

Alex Faber ist nicht der Einzige, der am Projekt «Aufgabeln!» teilgenommen hat. 76 Personen aus 35 Haushalten haben ihre Nahrungsabfälle während sieben Tagen fein säuberlich in eine App eingetragen. Diese Daten hat Franziska Ruef nun ausgewertet. Ruef ist die Projektleiterin Nachhaltigkeit beim Umweltdepartement des Kantons Aargau.

Alex Faber tippt die Abfälle in die App für das Projekt «Aufgabeln!» ein.
Bild: Alexander Wagner

Zunächst zum wichtigsten Befund der Aargauer Studie. Jede Person in der Schweiz wirft pro Jahr durchschnittlich 90 Kilogramm Lebensmittel weg. Das entspricht 620 Franken. Ganz anders die Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer aus Wallbach und Rheinfelden. Sie kommen aufs Jahr hochgerechnet auf lediglich 26,6 Kilogramm. Das sind etwas mehr als 70 Gramm pro Tag! Die Geldverschwendung beträgt noch 131 Franken.

Franziska Ruef, Projektleiterin «Aufgabeln!» beim Kanton Aargau.
Bild: zvg

Wichtig zu wissen ist, was von der Erfassung ausgenommen ist. Zum Beispiel unvermeidbare Abfälle, wie etwa Kaffeesatz. Aber auch die Verpackung der Lebensmittel. Deren Ressourcenverschleiss ist ein ganz anderes Thema.

Die wesentliche Erkenntnis des schweizweiten Pilotprojekts: Der Lebensmittelabfall kann um zwei Drittel verringert werden. Und das ohne Einschränkungen für die Haushalte. So sehen es auch Alex Faber und seine Familie.

Doch 26,6 Kilogramm pro Person sind gemäss Franziska Ruef immer noch ganz schön viel, rechnet man die Menge auf die Schweizer Bevölkerung hoch: Es kommen satte 230’000 Tonnen Lebensmittelabfälle zusammen. Aktuell liegt der Durchschnitt von Privathaushalten gemäss Ruef bei 778’000 Kilogramm.

Abfall in Haushalten wirkt sich am stärksten auf die Umwelt aus

Überhaupt: Die grösste Umweltbelastung durch Foodwaste verursachen ebendiese Haushalte. Dies auch deshalb, weil sie am Ende der Wertschöpfungskette liegen. Wird Gemüse, Risotto oder Fleisch in den Abfall geworfen, ist das nicht nur der Verschleiss von Nahrung, sondern auch von Energie. Produktion, Transport, Verkauf – alles für die Katz.

Rechnet man die Umweltbelastung eines weggeworfenen Lebensmittels in Autokilometer um, dann entsprechen die 1,1 Kilogramm Schweinefleisch, die anlässlich des Projekts gemessen wurden ganze vier Autofahrten von Rheinfelden nach Wallbach, insgesamt gegen 40 Kilometer.

Gemüse verursachte bei den 35 am Projekt beteiligten Haushalten am meisten Abfall.
Foto: Alexander Wagner

Für Ruef ist die Umweltbelastung deshalb ein wichtiger Wert, auch wenn in effektiven Kilogramm gerechnet die Verarbeitungsindustrie mehr Lebensmittel verschwendet als alle Schweizer Haushalte zusammen: rund eine Million Tonnen.

Das landet in Wallbach und Rheinfelden im Abfall

Wenn Alex Faber darüber nachdenkt, was er dennoch weggeworfen hat, dann sicher kein Fleisch und keine Menüreste. Damit ist er in guter Gesellschaft bei den Beteiligten in Wallbach und Rheinfelden.

Die Studie von Ruef zeigt, wie die entsorgten 32 Kilogramm Foodwaste sich zusammensetzen, die die Projektteilnehmenden wie Faber im Verlaufe der sieben Tage gewogen haben:

Ruefs Studie listet schliesslich die Beweggründe auf, warum die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein Lebensmittel weggeworfen haben:

Und wie vermeidet Familie Faber Foodwaste?

Für Fabers beginnt Foodwaste nicht erst in der Küche, sondern bereits beim Einkauf: Seine Familie geht deshalb nicht mit hungrigem Magen in die Läden. So kann er den Marketingverlockungen der Detaillisten besser widerstehen. Auf diese Weise hält die Familie Faber die Einkaufsmenge tief, überfüllt den Kühlschrank nicht und muss weniger wegwerfen.

Was vom Abendessen übrig bleibt, wird am nächsten Tag meist von den Kindern in die Schule mitgenommen.

Wird das Ablaufdatum verpasst, muss der Geruchssinn entscheiden, ob das Nahrungsmittel noch verzehrt werden kann. Fleisch wird auch mal länger gebraten oder mit einer Sauce verfeinert.

Andere Studienteilnehmende sind ebenfalls kreativ:

Die einen kaufen nur für vier Tage pro Woche ein und schauen, was für die anderen drei Tage übrig bleibt.

Die anderen planen einen fixen Tag für Resteverwertung ein. Warum die Reste nicht in ein neues Menü verwandeln? Dazu gibts online viele Seiten.

Wiederum andere schwören auf ein Kühlschrankmanagement, bei dem der Inhalt weniger schnell verdirbt.

Zu viel eingekauft: Dann ab in den Tiefkühler damit.

Welches Fazit ziehen Familienvater Alex Faber und Projektleiterin Franziska Ruef am Ende der Erhebungsphase von «Aufgabeln!»?

Ruef ist mit dem Ergebnis zufrieden. Zwei Drittel weniger Abfall der Aargauer Beteiligten gegenüber dem Schweizer Durchschnitt. Das ist für sie ein Ergebnis, das sich weiterzuverfolgen lohnt. Das Umweltdepartement wird deshalb Anfang 2024 einen Leitfaden publizieren, wie mit unseren wertvollen Nahrungsmitteln umgegangen werden kann.

Und Faber? Für ihn ist erhellend, dass man «viel mehr wegwirft, als man selbst denkt».

Und er sagt: «Es lässt sich heute am einfachsten dann etwas verändern, wenn der Komfortverlust im Alltag gering ist. So erreicht man viel mehr Leute.» Mit Extrempositionen, etwa die Lebensmittelverschwendung auf null zu reduzieren, erreiche man viel weniger Leute, entsprechend geringer der Effekt.

Die Studie hat Faber gezeigt, dass man sich gegenüber ehrlich sein muss. Für den Informatiker geht es um Grundsätzliches: «Wir müssen den Verbrauch reduzieren und nicht danach streben, etwas möglichst günstig zu bekommen. Das gilt nicht nur bei der Energie, sondern auch bei Lebensmitteln.»