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Als erste Deutsche gewinnt Jenny Erpenbeck den International Booker Prize

Vor allem in englischsprachigen Ländern ist die deutsche Schriftstellerin ein Star. Auch weil sie in ihrem nun preisgekrönten Roman «Kairos» einen Blick in die deutschen Seelen nach der Wiedervereinigung wirft. 

Die Schriftstellerin und Opern-Regisseurin erhielt den diesjährigen Preis für die englische Übersetzung ihres Romans «Kairos» (2021 erschien die deutsche Ausgabe) gemeinsam mit Übersetzer Michael Hofmann. Mit ihm teilt sie sich das Preisgeld von 50 000 Pfund (umgerechnet etwa 58 500 Euro). Hofmann wurde als erster männlicher Übersetzer mit dem seit 2016 verliehenen Preis ausgezeichnet. «Ich bin sehr geehrt», sagte Erpenbeck bei der Preisverleihung am Dienstagabend in London.

Der Roman dreht sich um die Liebesbeziehung zwischen einer jungen Studentin und einem sehr viel älteren, verheirateten Schriftsteller in den letzten Jahren der DDR in Ostberlin. Das von der gemeinsamen Liebe zu Musik und Kunst beflügelte Verhältnis der beiden geht jedoch in die Brüche, so wie auch der Staat um sie herum im Zerfall begriffen ist.

Gespaltene Gesellschaft wie in den USA?

In einem Vorab-Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärte sich Erpenbeck ihren grossen Erfolg im englischsprachigen Ausland so: Es gebe «ein grosses Bedürfnis danach, zu erfahren, welche konkreten Auswirkungen das, was im Moment des Mauerfalls wie ein Happy End aussah, tatsächlich auf die Biografien der Menschen im Osten hatte.» Und sie beschrieb, was aus ihrer Sicht das Grundproblem sei: «Das, was oft als Konflikt zwischen links und rechts beschrieben wird, ist ja im Grunde genommen weltweit eher ein Konflikt zwischen den Eliten und den abgehängten Rändern der Gesellschaft. Und der findet sich auch im Verhältnis zwischen dem Westen und dem Osten Deutschlands wieder».

Sie verglich diesen Konflikt dann auch noch mit der Situation in den USA: «Durch den Mauerfall haben damals viele Menschen im Osten ihre Arbeit verloren, ganze Industriezweige wurden abgewickelt, Führungspositionen konsequent neu mit Leuten aus dem Westen besetzt. Viele Menschen mussten sich neu orientieren, haben das vielleicht sogar geschafft, sind aber bis heute von der Teilhabe an Entscheidungspositionen ausgeschlossen. Deren Unzufriedenheit ähnelt durchaus der Unzufriedenheit der Trump-Anhänger in den USA.»

Die Jury lobt die Verbindung von Liebesaffäre und Politik

Das Buch sei aussergewöhnlich, weil es «sowohl schön als auch unangenehm ist, persönlich und politisch», hiess es in der Begründung der Jury. Erpenbeck lade dazu ein, eine Verbindung herzustellen zwischen politischen Entwicklungen, die Generationen definierten, und einer zerstörerischen, sogar brutalen Liebesaffäre. Der International Booker Prize gehört zu den prestigeträchtigsten Literaturpreisen in Grossbritannien. Ausgezeichnet werden fremdsprachige Werke, die ins Englische übersetzt wurden.