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Schriftstellerin Noëlle Revaz erhält den renommierten Gottfried-Keller-Preis

Mit 30 000 Franken ist der Gottfried-Keller-Preis einer der am höchsten dotierten Literaturpreise der Schweiz. Noëlle Revaz erhält ihn für «ihr hoch orginelles und noch im Entstehen begriffenes Werk», so die Jury. 

Der literarische Ansatz von Noëlle Revaz sei von einer «unverwechselbaren Einzigartigkeit», schrieb die Martin Bodmer-Stiftung, die den Preis vergibt, in einer Mitteilung von Donnerstag. Dabei ist das Werk der Autorin bis anhin eher schmal: sechs Bücher, davon drei Romane in den vergangenen 15 Jahren. Doch das Werk zeichne sich laut der Stifterin durch den Anspruch aus, den die Autorin an sich stelle.

Ihre Romane «Rapport aux Bêtes» (2002, dt.: «Von wegen den Tieren“) über «Efina» (2009, dt.: «Efina») bis «L’Infini livre» (2014, dt.: «Das unendliche Buch») liegen in deutscher Übersetzung vor. Mit jedem der Werke erkundet die Autorin verschiedene Stilmittel und Genres, von vermeintlicher Mündlichkeit bäuerlicher Prosa, über die Rhetorik des Briefromans bis zur Groteske der Dystopie.

Mit Humor und Phantasie gegen das Trostlose

Stets werde die Leserin, der Leser als Konstante «mit der Trostlosigkeit unserer Welt und dem Versagen der Rationalität konfrontiert», heisst es in der Mitteilung. Zu literarischer Kraft verhelfe indes Humor, Phantasie, Poesie und Wortspiele, die sich durch die Situationen und Figuren hindurch zögen. Noëlle Revaz wurde bereits 2015 vom Bundesamt für Kultur mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet. Und für «Rapport aux Bêtes» erhielt sie 2002 einen Preis der Schweizerischen Schillerstiftung. Geboren wurde sie 1968 in Vernayaz im Unterwallis.

Wie sich im Roman «Von wegen den Tieren» ein Macho entlarvt

In einem Blick zurück auf ihren Roman «Von wegen den Tieren» erkennt man die Meisterschaft der Westschweizer Schriftstellerin. «Es stimmt nicht, Liebe dazu zu sagen, wo man nichts spürt in der Seele, ausser die Lust, zuzugreifen.» Da hat Bauer Paul, der damit sowohl Sex wie Ohrfeige meint, natürlich recht. Seine Frau nennt er verächtlich Vulva. Für sensible Gemüter ist sein selbstgerechter 250-Seiten-Monolog harte Kost. Literarisch aber machte die Westschweizer Autorin Noëlle Revaz, eine der talentiertesten im Lande, in ihrem Début aus dem Jahr 2001 alles richtig. Ihr gelang ein Meisterstück der Entlarvung: Im dumpfen Machotum schält sich ein autoritärer Charakter heraus – psychologisch nahe an Heinrich Manns «Der Untertan» – auch dort schwingt sich ein aufgeblasener Feigling zum Herrscher auf.

Pauls verkümmerte Seele, schuld ist der brutale Vater, entblösst sich als krankhafte Egozentrik. Wie Noëlle Revaz in den dumpfen Schädel dieses Bauern schlüpft und dessen halbfertige Gedanken und rabiaten Missmut, wie sie Pauls Frustration, Neid und Selbstgefällig in einen assoziativen inneren Monolog giesst, ist bemerkenswert: Szenisch dicht und dramaturgisch ruhig vorwärts treibend. Mit der Ankunft des portugiesischen Gastarbeiters Georges ist der Wendepunkt in Sicht. Es entfaltet sich keine Heilung (das wäre Kitsch), aber eine widerwillig-verblüffende Education sentimentale.

Zwei Nebenpreise für Lutz&Guggisberg und Lionel Felchlin

Neben dem Hauptpreis für Noëlle Revaz verleiht die Martin Bodmer-Stiftung zudem zwei Ehrengaben, die mit jeweils 10’000 Franken dotiert sind. Diese gehen an Lionel Felchlin «für seine subtilen Übersetzungen von Werken Gottfried Kellers ins Französische» sowie an das Künstlerduo Lutz&Guggisberg. Das Duo wird für seine phantastisch-ironische Bibliothek mit dem Titel «Vergleichende Komparatistik» ausgezeichnet.

Der Gottfried-Keller-Preis wird alle zwei bis drei Jahre vergeben und zählt zu den ältesten Literaturpreisen der Schweiz. Hinter dem Preis steht die Martin-Bodmer-Stiftung, die vor hundert Jahren zum 100. Geburtstag von Gottfried Keller initiiert wurde und ihn seither vergibt. Zu den bisherigen Preisträgerinnen und Preisträgern gehören etwa Adolf Muschg und Thomas Hürlimann (2019) sowie Agota Kristof (2001) oder die Lyrikern Erika Burkart (1992).