
Sie wollen alt werden? Wie regelmässig rasieren Sie sich denn?
Der Opa ist 90 Jahre alt geworden und die Mutter sogar noch älter? Wer so etwas über sich sagen kann, hat vermutlich schon oft Sätze gehört wie: «Glück gehabt. Gute Gene.» Doch er sollte sich nicht zu sehr darüber freuen. Denn eine aktuelle Studie zeigt: Langlebigkeit kommt nicht von allein – wir müssen etwas dafür tun.
Das Forscherteam der Universität Oxford analysierte die medizinischen Daten von knapp einer halben Million Menschen aus der UK Biobank, in der neben den detaillierten Krankengeschichten auch die Gensequenzen gespeichert sind. Bei 45’000 Personen wurde zudem die sogenannte «proteomische Alterungsuhr» abgelesen, die das biologische Alter eines Menschen anhand von molekularen Markern in seinem Körper einschätzt. «Sie können sich das wie eine besondere Stoppuhr vorstellen», erläutert Studienleiter Austin Argentieri. «Sie misst, wie unser Körper innerlich altert.» Als Marker dienen beispielsweise Substanzen wie Elastin und Kollagen, deren Werte eng mit dem altersbedingten Verfall von Zellstrukturen zusammenhängen.
Die Untersuchungen ergaben, dass die Gene gerade mal in 2 Prozent der Fälle die Verantwortung tragen, wenn ein Mensch frühzeitig durch eine alterstypische Krankheit – wie etwa Demenz, Infarkt oder Krebs – zu Tode kommt. Demgegenüber tragen Umwelt und Lebensstil in 17 Prozent der Fälle die Hauptschuld, das ist fast das Zehnfache.
Umwelteinflüsse wirken am stärksten
Die Oxford-Forscher erstellten auch eine Liste derjenigen Umwelteinflüsse, die besonders risikoreich sind. An oberster Stelle das Rauchen, es war an der Entstehung von 21 der 25 altersbedingten Krankheiten beteiligt, die in der Studie ins Visier genommen wurden. Danach folgten sozioökonomische Faktoren wie Haushaltseinkommen, Wohngegend und Beschäftigungsstatus und an dritter Stelle der Bewegungsmangel, den man mit 17 Krankheiten in Verbindung bringen konnte.
Insgesamt hatten Umwelteinflüsse den grössten Einfluss auf Erkrankungen von Lunge, Herz, Nieren und Leber, während die Gene vor allem beim Risiko für Demenz sowie Brust-, Eierstock-, Prostata- und Darmkrebs mitspielten. Letzteres ist überraschend, insofern Ärzte sonst gerne einer fleischlastigen und ballaststoffarmen Ernährung die Hauptschuld am Darmkrebs geben.
Insgesamt haben wir es jedoch wesentlich in der Hand, wie alt wir werden. Doch dafür braucht es Selbstdisziplin und Gewissenhaftigkeit. Denn egal, ob Sport, Tabakverzicht, gesunde Ernährung, Partnerschaft oder die Behandlung von Krankheiten – sie zeigen nur dann Erfolge, wenn man «dranbleibt».
Alexander Weiss vom National Institute on Aging in Baltimore erfasste mittels eines Fragebogens, den man durch Ankreuzen in fünf Skalen beantworten konnte, bei 1076 älteren Personen die sogenannten Big Five der Persönlichkeit: Neurotizismus (emotionale Labilität), Extraversion, Offenheit für neue Erfahrungen, soziale Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Fünf Jahre später suchte er die Senioren erneut auf, um zu sehen, wie es ihnen in der Zwischenzeit ergangen war.
Es zeigte sich, dass bei der Gewissenhaftigkeit jeder Skalenpunkt oberhalb des Durchschnitts das Sterberisiko um 34 Prozent senkte. «Kein anderes Persönlichkeitsmerkmal kam auf einen vergleichbaren Wert», so Weiss.
Je gewissenhafter die Persönlichkeit, desto besser
Das veranschaulicht auch eine Studie der University of Bristol, wo man das Rasierverhalten von 2450 Männern mit ihrer Sterblichkeitsrate über einen Zeitraum von 20 Jahren verglich: Männer, die sich unregelmässig rasierten, hatten ein um 70 Prozent grösseres Risiko für einen tödlichen Schlaganfall. Mit einem unterschiedlichen Bartwuchs oder Testosteronspiegel hatte das nichts zu tun.
Am Ende der Analyse blieb den Forschenden nur eine schlüssige Erklärung übrig: Dass nämlich regelmässiges Rasieren ein Indikator für die Disziplin eines Mannes ist – und disziplinierte Menschen tun mehr für ihre Gesundheit.
Persönlichkeitseigenschaften wie Verlässlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Selbstkontrolle liefern also die Basis für ein langes Leben. Und man kann sie auch durchaus erlernen. Der australische Psychologe Roy Baumeister spricht sogar davon, dass man Selbstdisziplin wie einen Muskel trainieren könnte.
Baumeister selbst unterzog für eine Studie seine Probanden einem zweiwöchigen Selbstkontroll-Training, das unter anderem aus der Übung bestand, umgangssprachliche Füllwörter zu vermeiden. «Dies trainiert die Selbstkontrolle, schliesslich muss permanent gegen den Impuls angekämpft werden, Füllwörter zu benutzen», so Baumeister.
Später wurde überprüft, wie gut es Studienteilnehmern gelang, Stereotype und Klischees über andere Menschen zu vermeiden. Was bekanntermassen nur funktioniert, wenn man sich selbst unter Kontrolle hat, denn ansonsten neigen wir impulsiv dazu, alles über einen Kamm zu scheren und beispielsweise Politiker pauschal als korrupt und die Jugend von heute generell als faul zu deklarieren.
Es zeigte sich, dass die Probanden infolge des Trainings deutlich seltener zu solchen Pauschalurteilen griffen. Ihre Selbstkontrolle hatte also zugenommen. Mit solchem Training könnten wir also, wenn es klappt, am Ende sogar einen Doppeltriumph einfahren. Denn wir würden dann nicht nur älter, sondern sogar zu einem besseren Menschen werden.