
Sie leiden, wenn es heiss und trocken ist? Wetterfühligkeit ist meist keine Einbildung
Müde, abgeschlagen, nervös, der Schädel brummt, Gelenke schmerzen: Rund jeder fünfte Erwachsene hält sich für stark wetterfühlig. Doch lässt sich das wissenschaftlich untermauern? Australische Forscher haben sich dieser Frage angenommen.
Das Team um Manuela Ferreira von der University of Sydney sichtete mehr als tausend Studien zu dem Thema, von denen am Ende elf Arbeiten mit rund 15’300 Patienten übrig blieben: Arthritis, Arthrose, Gicht, Rückenschmerzen und andere Beschwerden des Bewegungsapparats wurden bei diesen Personen objektiv – also nicht auf Grundlage subjektiver Beobachtungen – auf einen Zusammenhang mit der Wetterlage in Verbindung gebracht.
Das Ergebnis: Bei den meisten Beschwerden spielte es keine Rolle, was für ein Wetter gerade vorherrschte. Bei Kniearthrose gab es allerdings einen kleinen Schmerzanstieg, und zwar bei kaltem und feuchtem Wetter. Und das schlug sich auch darin nieder, dass die Patienten dann mehr Schmerzmittel und ärztliche Behandlungen in Anspruch nahmen. Der stärkste Wetterzusammenhang zeigte sich bei der Gicht. Die Schübe häuften sich nicht etwa beim nasskalten «Schietwetter», sondern bei hohen Temperaturen in Kombination mit geringer Luftfeuchte. «Diese Wetterlage verdoppelt das Risiko für einen Gichtanfall», erläutert Ferreira.
Als mögliche Erklärung dafür vermutet die Medizinerin und Physiotherapeutin, dass warmes und trockenes Wetter bei Gichtpatienten ein Wasserdefizit provoziert, das die Harnsäurewerte und dadurch das Risiko für Kristallablagerungen an den Gelenken ansteigen lässt.
Das Wetter verschlimmert bestehende Krankheiten
Wetterfühligkeit ist ein sehr individuelles Phänomen. Das bestätigt Umwelt- und Biometeorologe Andreas Matzarakis von der deutschen Universität Freiburg (im Breisgau): Der klassische Typ des wetterfühligen Menschen hat ein gesundheitliches Problem, das sich unter bestimmten Wetterbedingungen verschlimmert. «Wenn jemand fit und gesund ist, wird er kaum unter Wetterfühligkeit leiden», erläutert Matzarakis.
Angenommen, jemand ist Rheuma-Patient, dem immer wieder bestimmte Gelenke schmerzen. Dann kann sich dieses Problem verschärfen, wenn eine «Unruhe im Wetter» hinzukommt: «Dies irritiert das vegetative Nervensystem und damit eine unserer zentralen Steuerungseinheiten, sodass es am Ende zu einer Verschlimmerung der rheumatischen Beschwerden kommen kann.» Wobei der Biometeorologe betont, dass es in erster Linie um Luftdruckschwankungen geht, die sich im Millisekundenbereich abspielen. «Sie bringen unser Anpassungsvermögen an seine Grenzen», so Matzarakis. Und das umso mehr, wenn es durch eine Erkrankung oder andere Belastungen ohnehin schon gefordert ist.
Warme Temperaturen sind gut gegen Blutdruck
Nachgewiesenermassen wirken die Wetterkapriolen auf sehr viele Symptome. Beim Bluthochdruck spielen aber wohl mehr langfristige Temperaturen als spontane Luftdruckschwankungen die Hauptrolle.Ein Forscherteam des Marien-Hospitals Hernehat über einen Zeitraum von neun Jahren die Daten von mehr als 200’000 Patienten untersucht, die in Notaufnahmen von drei Krankenhäusern vorstellig wurden. Studienleiter Timm Westhoff sagt: «Je kälter die Temperaturen, desto mehr Vorstellungen wegen Bluthochdrucks im Krankenhaus.» Allerdings gelte das offenbar nur für längere Kälteperioden.
Der Grund für den geringeren Blutdruck bei wärmeren Temperaturen: Sie sorgen – gerade in der Haut – für eine Weitstellung der Gefässe, sodass mehr Blut hindurchfliessen kann und weniger Druck in ihnen aufgebaut wird. Hypertoniepatienten können also dem drohenden Hitzesommer mit einem gewissen Optimismus entgegensehen.
Das perfekte Szenario: 22 Grad, windstill und Sonne
Den grössten Schutz vor Wetterfühligkeit hat man im Kern eines Hochdruckgebietes, bei Sonne, Windstille und Temperaturen zwischen 19 und 25 Grad. «Unter diese Bedingungen werden uns die geringsten Anpassungsleistungen abverlangt», so Matzarakis.
Was aber nicht heisst, dass man umgekehrt jeglichen Kältereizen aus dem Weg gehen sollte. Denn in angemessener Dosierung wirken sie als Training, um die Widerstandsfähigkeit des Körpers gegenüber Temperaturschwankungen zu trainieren. Man kennt so etwas vom Wechselduschen. Es macht also Sinn, auch bei regnerisch-kaltem Wetter den Weg nach draussen zu suchen.
Problematischer ist da schon der Föhn. Viele reagieren auf den warmen Fallwind aus den Bergen mit Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie Kopfschmerzen und Niedergeschlagenheit.Schweizer Wissenschaftlerbeobachteten, dass bei Föhn besonders viele Menschen mit Angst- und Zwangsstörungen sowie Depressionen und paranoiden Vorstellungen in die Psychiatrie überstellt werden,andere Studienfanden sogar erhöhte Selbstmordquoten. Interessanterweise scheint die Föhnempfindlichkeit aber nicht angeboren, sondern erworben zu sein. Denn die meisten Menschen, die neu in die Alpenregion umgezogen sind, haben zunächst keine Probleme mit ihm, einige finden ihn sogar klasse, weil er tolle Blicke auf die Berge freigibt. Negativ «föhnfühlig» werden sie erst durchschnittlich sieben Jahre später.
Bleibt die Frage, wie man sich vor den negativen Wettereinflüssen auf das Wohlbefinden schützen kann. Klimatisierte Räume helfen allenfalls bei Temperaturempfindlichkeit, aber nicht gegen die Luftdruckunterschiede. Die bessere Alternative: regelmässig an der frischen Luft für Bewegung sorgen, um die Anpassungsfähigkeit zu trainieren. Und die Biowettervorhersage nutzen, um für mögliche Beschwerden gewappnet zu sein. Wobei hier kritische Stimmen sagen, dass dies nach dem Prinzip der «selbsterfüllenden Prophezeiung» dazu führen könnte, dass man sich in das vorhergesagte Beschwerdebild hineinsteigert.
Diese Kritik unterstellt freilich, dass Wettempfindlichkeit in erster Linie ein Produkt der Einbildung ist. «Doch es gibt sie, bei 15 bis 20% der Bevölkerung, und dies sind ziemlich viele Menschen», betont Matzarakis. «Die Unruhe im Wetter ist das, was gerade in unserer von Stress geplagten Zeit das Glas zum Überlaufen bringen kann.»