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Friedliche Feiertage garantiert dank Brettspielen: Macht uns das gemeinsame Spielen zu besseren Menschen?

Die «Exit»-Spiele sind erfolgreicher als das klassische «Monopoly». Das liegt auch daran, dass es dabei keine Verlierer gibt.

Alles ist verloren, das ganze Geld ist weg! Es fehlt nicht viel, bis ich im Gefängnis lande. Diese Erkenntnis kann die besinnlichen Weihnachtstage vermiesen, auch wenn es lediglich um den Brettspielklassiker «Monopoly» geht. Die Floskel «es ist doch nur ein Spiel» ist Unsinn. Das wissen alle, die beim «Uno» schon einmal so viele Karten ziehen mussten, dass man sie nicht mehr halten konnte. Alle, deren Familienbande bei einem Jass auf den Prüfstand gestellt wurden. Alle, die mitansehen mussten, wie der Lieblingsfussballverein den Treffer zum Ligaerhalt vergeigt hat.

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft mit zwiespältigen Ansprüchen. Höher, schneller, weiter, heisst die Maxime. Dass es dabei immer jemanden geben muss, der weniger hoch, weniger weit kommt, ist der unangenehme Nebeneffekt. «Verlierer» ein Schimpfwort, beim Skischulrennen erhalten darum heute alle eine Medaille.

Spiele sind grausam. Trotzdem tun wir es immer wieder, besonders gern zur Weihnachtszeit. Der Hauptumsatz wird in der Spielebranche vor den Festtagen gemacht. Der Schweizer Spielzeughändler Franz Carl Weber macht rund 25 Prozent seines Jahresumsatzes während der letzten vier Wochen des Jahres.

Gemeinsam liegt im Trend

Tatsächlich liegen dabei heute Spiele im Trend, bei denen niemand verliert. So ist auch das Spiel des Jahres 2023 ein «Wohlfühlspiel», sagt die Jury. Bei «Dorfromantik» (siehe Box) wird an einer hübschen Landschaft gebaut – und zwar im Team. Es ist ein sogenanntes kollaboratives Spiel, bei dem jeder mit jedem statt jeder gegen jeden spielt. Besonders beliebt in diesem Genre sind die «Exit»-Spiele, spannend erzählte Rätseleien, die dem Prinzip von Escape Rooms nachempfunden sind.

In einem der neusten «Exit»-Spiele müssen «wir» aus dem Gefängnis ausbrechen.
Bild: zvg

Da steht etwa Meisterdetektiv Sherlock Holmes unter Mordverdacht. Dr. Watson braucht unsere Hilfe, um die Unschuld seines Freundes zu beweisen. Oder wir müssen von einer einsamen Insel fliehen, aus Kerkern und Gefängnissen ausbrechen. Der Weg in die Freiheit führt über verschlüsselte Botschaften, Geheimschriften und dubiose Codes. Um sie zu lösen, braucht es meist mehr als nur einen cleveren Kopf.

Während die Gruppe ebendiese zusammensteckt, tickt im Hintergrund die Uhr. Sie ist in diesem Spiel die einzige Gegnerin, die es zu schlagen gilt. So wird in diesen Spielen zwar ge- aber niemand verflucht (jedenfalls niemand von seinen Mitspielern).

An die 40 Fälle gibt es inzwischen unter dem Titel «Exit» zu lösen, ausserdem gibt es Puzzles, Bücher und Adventskalender. Seit 2016 das erste Spiel lanciert wurde, hat der Kosmosverlag gemäss eigenen Angaben rund 18 Millionen Exemplare verkauft, 2022 war «Schatten über Mittelerde» aus der Reihe das meistverkaufte Spiel im deutschen Buchhandel. Damit hat die Reihe sogar «Monopoly» vom Thron gestossen.

Traumberuf gefunden: Spieleentwickler

Hinter der Erfolgsgeschichte steht ein freundliches Ehepaar. Inka und Markus Brand aus Gummersbach sind die Erfinder der «Exit»-Spiele, auf jeder Spieleverpackung lächeln sie den Rätselratenden entgegen. Denn sie haben einen Kindheitstraum zum Beruf gemacht, von dem sie zwar noch nicht leben können, aber an dem sie dennoch gut verdienen. Die Höhe der Tantiemen ist nicht bekannt, reicht aber, dass Markus Brand sein Pensum bei der Versicherungsagentur seines Vaters reduzieren konnte.

Begonnen hatte alles 2014 mit einem Auftrag vom Kosmos-Verlag. Während in jeder grösseren Lagerhalle Escape Rooms gebaut wurden, in die sich die Teilnehmenden freiwillig einsperren liessen, um sich rätselnd wieder zu befreien, stellte man sich dort die Frage, ob sich aus diesem Konzept ein Gesellschaftsspiel machen liesse. Das Ehepaar hatte bis dahin schon einige Spiele für Kinder und Erwachsene entwickelt, die Herausforderungen nahmen sie gerne an.

Alle Rätsel der bislang 40 Ausgaben gingen seither über den Schreib- oder, wahrscheinlicher, Küchentisch der Familie Brand. Die Ideen dazu kämen ihnen spontan, unterwegs oder unter der Dusche so erzählen es die Spieleliebhaber immer wieder. Kaum eine Tapete könnten sie heute noch betrachten, ohne darin verschlüsselte Botschaften zu erkennen.

Den Spielerinnen und Spielern geht es ganz ähnlich: Es muss doch einen Ausweg aus diesem Verlies geben! Vielleicht öffnet sich die Geheimtür, wenn wir die Backsteine in der Mauer nur richtig verschieben? Zu Beginn liegen die Rätselkarten, die Codierscheibe uns so manches «seltsames Teil» noch ordentlich auf dem Tisch. Am Ende des Spiels wird davon nicht viel übrig bleiben, denn das Material muss hemmungslos geknickt, gefaltet oder gar zerschnitten werden, um den befreienden Code zu entziffern.

Die Fragen nach der Nachhaltigkeit dieses Materialverschleisses werden für einen Abend beiseitegeschoben. Gestellt werden diese darüber hinaus allerdings so oft, dass der Verlag eine eigene Website hierzu angelegt hat.

Der Mensch ist ein Homo Ludens

Den Spielen gelingt durch die Geschichten, die sie erzählen, auf analoge Weise, was Multimedia-Spektakel und digitale wie virtuelle Erlebniswelten versprechen: Immersion. In diesem Moment besteht kein Zweifel, dass wir nicht am Wohnzimmertisch sitzen, sondern im Labyrinth einer schaurigen Villa feststecken.

Diese Trennung vom «echten», alltäglichen Leben sei das wichtigste Merkmal eines Spiels, bemerkte der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga bereits 1949. «Was die ‹anderen› ‹draussen› tun, geht uns im Augenblick nichts an. Innerhalb des Kreises des Spiels zählen die Gesetze und Gepflogenheiten des normalen Lebens nicht mehr.» Der Mensch lerne spielend, auch oder besonders, seine Kulturtechniken. Er spricht denn auch vom Homo Ludens, quasi dem Gegenspieler des handwerkenden Homo Faber. Oder um Friedrich Schiller sprechen zu lassen: «Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.»

Wenn diese Theorie stimmt, wagt man, zuversichtlich zu sein. Hat uns der Bankier mit Zylinder und Schnauzbart von Monopoly die Grundprinzipien des Immobilienmarkts, Steuerrechts und natürlich gewinnmaximierenden Investments erklärt, sollten doch auch diese neuen Spiele lehrreich sein.

Allein werde ich es nicht über die Gefängnismauer schaffen. Zum Glück wirft mir meine Zellengenossin ein Seil zu, nun muss ich es nur noch mit meinem Ende verknüpfen und … Wer im Spiel einen Gefängnisausbruch organisieren kann, sollte dies besser nicht im realen Leben testen. Doch das gemeinsam Knobeln und Rätsel trainiert nicht nur die kognitiven Fähigkeiten ganz ähnlich wie beim Sudoku.

Kinder teilen lieber, wenn sie zuvor gemeinsam Lego-Türme gebaut haben als solche, die gegeneinander Mensch ärgere dich nicht gespielt haben. Das belegt 2019 eine Studie aus Leipzig. Das gemeinsame Spielen mache sozialer, empathischer und auch offenbar sogar messbar mehr Spass, da es uns zusammenbringt. Es wäre wohl übertrieben zu sagen, dass gemeinsames Spielen uns zu besseren Menschen macht, aber vielleicht teilen wir an einem Abend ohne Verlierer die verbliebenen Weihnachtskekse ein bisschen lieber.

«Dorfromantik»: Das kollaborative «Wohlfühlspiel» ist Spiel des Jahres 2023. Gemeinsam puzzelt man an einer heilen Welt – was manchmal kniffliger ist, als man meint. Erschienen bei Pegasus Spiele, für 1 bis 6 Spieler ab acht Jahren.

«Paleo»: Das Spiel schickt uns als Stamm in die Steinzeit. Hier geht es um nichts weniger als das überleben, um fressen («Oh, Beeren!») und gefressen werden («Achtung, Wildschwein!»). Erschienen bei Hans im Glück, für 2 bis 4 Spieler ab zehn Jahren.

«Pandemic Legacy 2»: Matt Leacock machte 2008, lange vor Covid-19, mit «Pandemic» kollaborative Spiele populär. Inzwischen sind Erweiterungen erschienen, in denen man gemeinsam eine Pandemie bekämpft. Erschienen bei Z-Man, für 2 bis 4 Spieler ab 14 Jahren.

«MYSTERIUM KIDS»: Um an den Schatz zu kommen, müssen dem Schlossgespenst Hinweise entlockt werden. Doch leider ist die einzige Sprache, die es versteht, Musik. Erschienen bei Libellud/Space Cow, für 2 bis 6 Spieler ab sechs Jahren.

«Mmm!»: Die Mäusebande muss Käse und andere Leckereien an der Katze vorbeischmuggeln. Das geht natürlich nur, wenn man sich gegenseitig hilft. Erschienen bei Djeco, für zwei bis vier Spieler ab fünf Jahren.