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Mitten im Nirgendwo

Da stand ich nun, mitten im Meer. Eine Stunde nach Niedrigwasser. Das Festland mehr als einen Kilometer hinter mir, die Insel Norderney mehr als einen Kilometer vor mir und unter meinen Füssen breitete sich der Schlick des Wattenmeers aus. Mutig stapften wir hinter unserem Wattführer her. Mal war der Boden hart, mal war er matschig und zwischendurch trug er so schlecht, dass man bis Mitte Schienbein einsank und nur mit grossem Kampf die Füsse wieder frei bekam.

Die Kinder in unserer Gruppe fanden bei jedem Schritt und Tritt etwas: Hier eine spezielle Muschel, dort ein angeschwemmtes Seegras, da eine Feder. Ich war so sehr damit beschäftigt, nicht im Schlick stecken zu bleiben und auszurutschen, dass ich ohne unseren Wattführer die vielen Kleintiere, die im Watt leben, gar nicht wahrgenommen hätte.

Nur etwas, das habe ich gefunden. Braun und knapp so lang wie mein kleiner Finger. Ich wollte es schon aufnehmen und nachfragen, welcher Wattbewohner das denn sei, da kam die Erkenntnis – fast so schnell wie die Flut einen unkundigen Wattwanderer überrascht. Dieses braune Ding ist nicht ein Tier und keine Pflanze, das ist ein Zigarettenstummel. Schon arg aufgequollen, aber doch: Hier mitten im Watt, kilometerweit von der Zivilisation entfernt, lag ein Zigarettenstummel.

In weniger als fünf Stunden werden die Fussstapfen, die wir im Schlick hinterlassen haben, wieder mit Wasser bedeckt sein. Das Fahrwasser, das wir durchwatet haben, wird wieder genügend tief sein, dass Schiffe den Hafen von Norden anlaufen können. Und die eingeschleppten Pazifischen Austern, die während Niedrigwasser ihre Schalen aus dem Schlick strecken und Socken und nackte Füsse aufschneiden, sobald man auf sie tritt, verschwinden wieder unter Wasser – genauso wie die anderen Wattbewohner.

Und auch der Zigarettenstummel wird vom zurückkehrenden Wasser aufgenommen und weitergeschwemmt werden – und vermutlich noch weitere 10 bis 15 Jahre immer mal wieder auftauchen. So lange dauert es nämlich, bis Zigaretten abgebaut sind.