Sie sind hier: Home > Frankreich > Depardieu wegen doppelter Sexattacke verurteilt – und das ist vielleicht erst der Anfang

Depardieu wegen doppelter Sexattacke verurteilt – und das ist vielleicht erst der Anfang

Wegen sexueller Belästigung ist der französische Kinostar Gérard Depardieu zu einer bedingten Haftstrafe von 18 Monaten verurteilt worden. Auch das Filmfestival in Cannes trifft nun entsprechende Vorkehrungen.

Ein Pariser Strafgericht erklärte Gérard Depardieu am Dienstag für schuldig, bei einem Filmdreh 2021 zwei Frauen sexuell angegriffen zu haben. Der heute 76-Jährige sei auf dem Set des Films «Les Volets verts» zuerst verbal, dann auch physisch über eine 54-jährige Dekorateurin und eine 34-jährige Regieassistentin hergefallen. Dabei habe er sie vom Hintern bis zu den Brüsten angefasst und begrapscht.

Die beiden Frauen hatten während des viertägigen Prozesses im März mehrere Zeuginnen und Zeugen präsentiert, die die Vorfälle bestätigten. Depardieu bestritt jede Berührung und erklärte, er habe nur einmal eine Frau bei der Hüfte angefasst, da er ausgerutscht sei. Die Verbalattacken erklärte er mit seiner bisweilen «vulgären» Fasson. Bei der Urteilsverlesung war er nicht präsent, nachdem er im März der viertägigen Verhandlung beigewohnt hatte.

Die Anklage hatte ebenfalls 18 Monate Haft verlangt; möglich wären fünf Jahre gewesen. Staatsanwalt Laurent Guy appellierte an das dreiköpfige Gericht: «Sie sind nicht da, um dem französischen Kino den Prozess zu machen; sie haben Gérard Depardieu wie einen beliebigen Angeklagten zu beurteilen.»

Depardieus Verteidiger Jérémie Assous gab sich so angriffig wie die Anwältinnen der beiden Filmfrauen; er verlangte einen Freispruch, da sein Klient bloss mit Geschmacklosigkeiten aufgefallen sei. Der Gegenseite warf er vor: «Sie haben Depardieu in den fünfzehn Monaten vor dem Prozess und während der Verhandlung getötet.»

Frankreichs bekanntester Schauspieler wird gegen das Verdikt Berufung einlegen. Er muss vorerst nicht ins Gefängnis, wird aber in die Kartei sexueller oder gewalttätiger Delinquenten aufgenommen und müsste bei einer Wiederholungstat hinter Gitter.

Zu schaffen macht ihm eine weitere, gravierendere Affäre. Eine ehemalige Schauspielschülerin namens Charlotte Arnould, zur Tatzeit 22 Jahre alt, bezichtigt ihn der Vergewaltigung in seiner Pariser Stadtwohnung der Rue du Cherche-Midi. Das Vorspiel mit Berührungen durch Depardieu war von einer Hauskamera festgehalten worden, bis die beiden das Sofa Richtung Schlafzimmer verliessen.

Von Obelix bis Kolumbus

Das «monstre sacré», das heilige Monstrum des französischen Films, hat dabei eine Haftstrafe von bis zu zwanzig Jahren zu gewärtigen. In einem offenen Brief hatte er dafür den «Terror» der MeToo-Bewegung verantwortlich gemacht. Arnoulds Klage sei nämlich 2018 zuerst liegen geblieben; erst Ende 2020, als Produzent Harvey Weinstein in Hollywood verurteilt worden sei, habe auch die Pariser Justiz ein Verfahren gegen Depardieu eröffnet.

Der Prozess wegen doppelter sexueller Belästigung zeigte auch auf, wie viele Sympathien die Filmikone Depardieu im eigenen Land verloren hat. Langjährige Freunde wie der Schauspieler Gérard Lanvin rückten von ihm ab; auch Catherine Deneuve schweigt heute, nachdem sie ihren Freund «Gégé» vor dem Prozess noch mit Nachdruck verteidigt hatte.

Der gefeierte Kolumbus- und Obelix-Darsteller hat seit «Les Volets verts» keinen Film mehr fertig gedreht. Einzig die Schauspielerin und Regisseurin Fanny Ardant dreht mit ihm derzeit in Portugal ostentativ einen – portugiesisch produzierten – Film, in dem Depardieu die Hauptrolle spielt. In dem Prozess trat die gleichaltrige Ardant als Zeugin der Verteidigung auf. Sie beteuerte: «Ich weiss, dass man Gérard durchaus ‹nein› sagen kann.»

Ganz anders äusserte sich am Wochenende eine andere Schauspielerin. Juliette Binoche, die das Filmfestival von Cannes die nächsten zwei Wochen leiten wird, erzählte von ihrem Werdegang und verdichtete ihn in einem Satz: «Ich musste zuerst lernen, ‹nein› zu sagen.»

Die französische Filmwelt nimmt einigermassen konsterniert zur Kenntnis, dass selbst unanfechtbar scheinende Stars wie Binoche gegen Sexattacken kämpfen mussten. In einem ausführlichen Interview mit der Zeitung «Libération» erzählte sie, wie einer ihrer Regisseure, der heute verstorbene Pascal Kané, sie zu einem Nachtessen in ein Pariser Insider-Restaurant eingeladen hatte – um dort sogleich über sie herzufallen. Binoche sagte, sie habe ihn zurückzuschlagen vermocht, weil sie früher in der Schule bereits von einem Lehrer angegangen worden sei.

Sogar beim Drehen des legendären Films «Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins», in dem Binoche 1988 eine unvergessliche Rolle spielte, habe sie nach ihren Worten die sexuellen Avancen des Regisseurs – gemeint ist offenbar der heute 88-jährige Philip Kaufman – abwehren müssen.

Weniger bekannte Schauspielerinnen wie Judith Godrèche oder Adèle Haenel haben seit 2020 parallel zur Causa Depardieu mehrere Filmemacher und Schauspieler sexueller Angriffe bezichtigt. Diese zweite MeToo-Welle in Frankreich nach dem Fall Polanski im Jahr 2017 hat nicht nur Gerichtsklagen bewirkt. Die französische Nationalversammlung hat eine Untersuchungskommission gebildet, die sexuellem Missbrauch in Film und Theater, den Medien sowie der Werbung und Mode nachgeht. Immer wieder kommt die Kommission aber zur Filmbranche zurück, in der offenbar spezielle Sitten, Abhängigkeiten und falsch verstandene Freiheiten geherrscht haben.

Oder immer noch herrschen? Beim Filmfestival in Cannes, das am Dienstag begonnen hat, dominiert das Thema über die zahlreichen Diskussionsrunden hinaus: Um neue Übergriffe zu verhindern, richtete die Festivalleitung eine Anlaufstelle ein, an die sich Belästigungs- und Gewaltopfer in Cannes von 8 Uhr in der Früh bis um Mitternacht wenden können.