
Nach dem Standseilbahnunglück: Das sind die Opfer – darunter auch eine Schweizerin
Eine der berühmtesten Touristenattraktionen Lissabons ist innerhalb von Sekunden zur Todesfalle geworden: Bei der Entgleisung der historischen Standseilbahn «Elevador da Gloria» kamen am Abend im Zentrum der portugiesischen Hauptstadt nach aktuellen Angaben der Behörden 16 Menschen ums Leben, 21 Passagiere wurden zum Teil schwer verletzt. Zuvor war von 17 Toten berichtet worden. Es habe einen Zählfehler gegeben, berichtete der staatliche portugiesische TV-Sender RTP. Unter den Opfern seien Bürger zehn verschiedener Nationalitäten, so der Sender.
Aussendepartement bestätigt: Schweizerin unter den Verletzten
Informationen zur Identität der Opfer wurden noch nicht mitgeteilt. Castro Martins sagte lediglich, alle Getöteten seien Erwachsene. Bei den Verletzten handele es sich um Menschen aus Portugal sowie zwei deutsche Staatsbürger, zwei Spanier und jeweils eine Person aus Frankreich, Italien, der Schweiz, Kanada, Marokko, Südkorea und Kap Verde. Die Transportarbeitergewerkschaft Sitra teilte mit, unter den Toten sei der Bremser der Strassenbahn.
Das Aussendepartement in Bern meldete am Donnerstagmittag, es habe Kenntnis von einer verletzten Schweizer Bürgerin. «Die Schweizerische Botschaft in Lissabon steht in Kontakt mit der Betroffenen und betreut sie im Rahmen des Konsularischen Schutzes.»
Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter bekundete ihre «volle Solidarität». Die Schweizer Vertretung in Lissabon stehe mit den zuständigen Behörden in Kontakt, schrieb das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) am Donnerstag auf Anfrage von Keystone-SDA. Schweizerinnen und Schweizer vor Ort wurden gebeten, sich an die Anweisungen der lokalen Behörden zu halten.
Die Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter erklärte auf X, die Schweiz sei in Gedanken bei den Opfern und ihren Angehörigen. «Wir bekunden dem portugiesischen Volk unsere volle Solidarität», schrieb sie weiter.
Pathologenteams des Nationalen Forensischen Instituts, verstärkt durch Kollegen aus drei anderen portugiesischen Städten, hätten die Nacht hindurch die Getöteten obduziert, verlautete aus Behördenkreisen. Verletzte wurden weiterhin in Krankenhäusern der Region Lissabon behandelt. Das zerstörte Wrack der Bahn lag am Donnerstag noch immer auf der von der Polizei abgesperrten Strasse in der Innenstadt, auf der sie am Abend verunglückte. Unfallermittler wurden vor Ort erwartet. Behördenvertreter wollten nicht darüber spekulieren, ob eine defekte Bremse oder ein gerissenes Kabel den Unfall verursacht haben könnten
«Portugal trauert», sagte Bürgermeister Carlos Moedas dem TV-Nachrichtensender «SIC Notícias» sichtlich niedergeschlagen. Es sei vor allem für die Stadt Lissabon «tragisch, ein schrecklicher Abend». Moedas rief eine dreitägige Trauer aus. Portugals Ministerpräsident Luís Montenegro sagte alle seine Termine erst einmal ab.
«Es war wie im Actionfilm»
Doch was ist passiert? Und wie? Der «Elevador da Glória» fährt auf der Rua da Glória hin und zurück über eine Strecke von rund 265 Metern und überwindet dabei einen Höhenunterschied von rund 45 Metern. Kurz nach 18.00 Uhr Ortszeit (19.00 MESZ) war das strassenbahnähnliche Fahrzeug am Mittwoch mit vielen Insassen wieder auf dem Weg nach unten, als es plötzlich von den Schienen abkam, die Strasse mit lautem Getöse hinunterrutschte und seitlich gegen ein Gebäude unweit des Platzes Praça dos Restauradores krachte. TV-Bilder zeigten den Wagen auf der Seite liegend und total zerstört.
In Live-Übertragungen mehrerer Sender waren dichte Rauchschwaden und Trümmer zu sehen. Sirenen heulten, während Rettungsteams hektisch und unermüdlich arbeiteten. «Es war wie im Actionfilm», sagte eine Augenzeugin. Eine andere erzählte: «Das war ohrenbetäubend, ich und andere Passanten sind erst mal weggelaufen.» Schnell seien Sanitäter und Polizisten eingetroffen, berichtete die junge Frau, die noch sichtlich erschüttert war.
Betreiber weist Vorwürfe zurück
Die Ursache? Bisher unbekannt. Experten vermuten, dass ein Seil gerissen sein könnte und vielleicht auch noch die Bremsen versagt haben. Vorwürfe, die Instandhaltung der Bahn sei womöglich nicht gut genug gewesen, wies der Betreiber, die Lissabonner Verkehrsgesellschaft Carris, zurück. «Die monatlichen und wöchentlichen Wartungsprogramme sowie die tägliche Kontrolle werden sorgfältig durchgeführt», hiess es in einem Bericht.
Trotzdem liess die Stadtverwaltung von Lissabon den Betrieb aller drei Standseilbahnen aussetzen und ordnete sofortige Inspektionen an. Die portugiesische Kriminalpolizei nahm Ermittlungen auf. Sie sei mit mehreren Beamten vor Ort gewesen, berichtete der Sender «SIC Notícias». Einen solchen Unfall mit einer der drei Standseilbahnen, die seit dem 19. Jahrhundert betrieben werden, hatte es in Lissabon bisher nicht gegeben.
Portugals Staatsoberhaupt Marcelo Rebelo de Sousa bedauerte den Unfall «zutiefst» und forderte, dass der Vorfall «rasch von den zuständigen Stellen aufgeklärt» werde. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, sprach den Angehörigen der Opfer ihr Mitgefühl aus. Der «Elevador da Gloria» wurde im Jahr 1885 eröffnet und ist eine der drei historischen Stadtseilbahnen Lissabons. Er verbindet den zentralen Platz Praça dos Restauradores mit dem höher gelegenen Stadtteil Bairro Alto. Die Bahn ist heute in erster Linie eine Touristenattraktion, sie wird aber auch von vielen Einheimischen benutzt, denen die Strecke zu Fuss zu steil ist.(dpa)
Was bedeutet der Unfall für Schweizer Seilbahnen?
Der tragische Unfall findet in der Schweiz grosse Beachtung. Einerseits, weil Lissabon ein beliebtes Reiseziel ist. Andererseits, weil in der Schweiz viele Standseilbahnen betrieben werden. 54 sind es laut dem Verband Seilbahnen Schweiz. Zu den bekanntesten zählt jene auf den Stoos, mit einer Steigung von 110 Prozent die laut eigenen Angaben steilste Standseilbahn der Welt. Auch in Städten spielen Standseilbahnen eine wichtige Rolle, oft erschliessen sie Aussichtspunkte, etwa die Gurtenbahn in Bern oder die Bahn auf den San Salvatore in Lugano.
Fragt sich, ob das Unglück von Lissabon Konsequenzen für Betreiber von Standseilbahnen ind er Schweiz hat? Auf Anfrage teilt Seilbahnen Schweiz mit, der Hersteller des «Elevador da Glória» in Lissabon habe keine Anlagen in der Schweiz gebaut. Auch seien hierzulande keine vergleichbaren Ereignisse bekannt. «Alle Systeme einer Seilbahn werden gemäss gültigen europäischen Normen regelmässigen Kontrollen in vordefinierten Abständen unterzogen.» Als letztes Sicherheitselement sind Standseilbahnen in der Regel mit einer Fangbremse ausgestattet, welche direkt auf die Fahrschienen oder eine separate Bremsschiene greifen. (sbü.)