Sie sind hier: Home > International > Der tägliche Kampf der Familie Sobh ums Überleben im Gaza-Streifen

Der tägliche Kampf der Familie Sobh ums Überleben im Gaza-Streifen

Jeder Tag steht ganz im Zeichen von der Suche nach Essen und Wasser. Manchmal hat die Familie Glück. Aber oft müssen die sechs Kinder hungrig ins Bett gehen.

Jeden Morgen nach dem Aufwachen stellen sich Abir und Fadi Sobh in ihrem Zelt im Gaza-Streifen die gleiche Frage: Wie und wo sollen sie Essen für sich und ihre sechs Kinder finden? Das Paar hat drei Möglichkeiten: Vielleicht hat eine Suppenküche geöffnet, wo sie einen Teller wässrige Linsen bekommen können. Oder sie versuchen, sich durch die Menschenmassen zu drängeln, um etwas Mehl von einem Lastwagen mit Hilfsgütern zu bekommen, die zwar mittlerweile öfter, aber immer noch viel zu wenig häufig kommen. Der letzte Ausweg ist jene zu bitten, die vielleicht an diesem Tag etwas ergattern konnten. Wenn das alles nicht klappt, essen sie nichts. Das passiert in diesen Tagen immer häufiger, der Hunger zehrt an ihrer Energie, an ihrer Kraft und auch an ihrer Hoffnung.

Experten der Initiative Integrated Food Security Phase Classification (IPC), die die Ernährungssicherheit einschätzt, warnten Anfang dieser Woche, dass sich im Gaza-Streifen derzeit «das schlimmste Szenario einer Hungersnot» entwickle.

Israel hatte ab März für zweieinhalb Monate eine vollständige Blockade für Lebensmittel und andere Hilfsgüter verhängt. Damit sollte der Druck auf die Hamas erhöht werden, jene Geiseln freizulassen, die sie seit ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 noch festhält. Einige Hilfslieferungen wurden im Mai zwar wieder aufgenommen, die Menge, die in den Gaza-Streifen gelangt, ist aber nur ein Bruchteil dessen, was Hilfsorganisationen als notwendig erachten. Und auch die weitere Lockerung der Blockade am vergangenen Wochenende reicht aus ihrer Sicht nicht aus. Durch den Zusammenbruch von Recht und Ordnung ist es ausserdem fast unmöglich, Lebensmittel sicher zu den Bedürftigen zu bringen. Ein Grossteil der Hilfsgüter, die ankommen, wird geplündert und von Banden gehortet oder auf Märkten zu überhöhten Preisen verkauft.

So sieht ein Tag im Leben der Familie Sobh aus:

Die Eltern und ihre sechs Kinder wachen morgens in ihrem Zelt auf, in dem es laut dem 30-jährigen Strassenhändler Fadi im Sommer unerträglich heiss ist. Da Frischwasser schwer zu bekommen ist, holt seine Frau Abir (29) erst einmal Wasser aus dem Meer. Die Kinder stehen nacheinander in einem Metallbecken und schrubben sich, während ihre Mutter ihnen das Salzwasser über den Kopf schüttet. Die neun Monate alte Hala weint, weil das Wasser in ihren Augen brennt.

Da vom Vortag nichts mehr übrig ist, geht Abir los, um die Nachbarn oder Passanten um etwas für das Frühstück ihrer Familie zu bitten. Manchmal bekommt sie Linsen, manchmal aber auch nichts. Abir gibt Hala Wasser aus einer Babyflasche. Wenn sie Glück hat, hat sie Linsen, die sie zu Pulver mahlt und in das Wasser mischt. Fadi geht zu einer nahe gelegenen Suppenküche. Manchmal begleitet ihn eines der Kinder. «Aber Essen gibt es dort nur selten», sagt er.

Fadi Sobh verteilt selbst gemachte Linsensuppe an seine Kinder.
Bild: Jehad Alshrafi / AP

Bis vor kurzem versuchte Fadi so wie viele andere Palästinenser im nördlichen Gaza-Streifen sein Glück, wo Hilfsgütertransporte aus Israel ankommen. Dort spielten sich jedes Mal chaotische Szenen ab, wenn ein neuer Lastwagen kam. Massen verzweifelter Menschen stürmten auf die Fahrzeuge zu, kletterten rauf und rissen die Ladung herunter. Immer wieder eröffneten israelische Soldaten in der Nähe das Feuer, wie Augenzeugen berichten. Aber auch unter den Palästinensern gibt es mit Messern und Pistolen bewaffnete Bandenmitglieder, die Hilfsgüter stehlen und später anderswo teuer verkaufen.

Fadi, der an Epilepsie leidet, wurde bei seinem letzten Versuch, sich dort was zu essen zu sichern, ins Bein geschossen. Das habe ihn so sehr geschwächt, dass er nicht mehr auf die Lastwagen klettern könne, sagt er. Deshalb versucht er es jetzt bei den Suppenküchen.

Verzweifelte Appelle bei den Hilfskonvois

In der Zwischenzeit machen sich Abir und ihre drei ältesten Kinder – der zehnjährige Jussef, der neunjährige Mohammed und die siebenjährige Malak – mit Plastikkanistern auf den Weg, um diese an einem Lastwagen aufzufüllen, der Süsswasser aus einer Entsalzungsanlage im Zentrum des Gaza-Streifens bringt. Die Kinder haben Mühe, die schweren Kanister zu tragen.

Abir geht manchmal selbst nach Zikim, wo die Hilfskonvois ankommen, allein oder mit Jussef. Die meisten in den Menschenmengen seien Männer, die schneller und stärker seien als sie. «Manchmal gelingt es mir, Essen zu bekommen, aber oft komme ich mit leeren Händen zurück», sagt sie. Wenn sie nichts ergattert, appelliert sie an diejenigen, die es geschafft haben. Viele erhörten ihre Bitte, und sie bekomme eine kleine Tüte Mehl, um für die Kinder zu backen, berichtet sie.

Nach einem Tag auf der Suche nach dem Nötigsten – Essen, Wasser, Brennstoff zum Kochen – hat die Familie manchmal genug von allen drei Dingen, damit Abir eine Mahlzeit zubereiten kann. Dann gibt es meistens eine dünne Linsensuppe.

Aber oft gibt es gar nichts, und sie gehen alle hungrig zu Bett. Abir berichtet, sie sei schwach geworden und fühle sich oft schwindlig, wenn sie auf der Suche nach Essen oder Wasser ist. «Ich bin müde. Ich schaffe es nicht mehr», sagt sie. «Wenn der Krieg weitergeht, denke ich daran, mir das Leben zu nehmen. Ich habe keine Kraft und keine Energie mehr.»(dpa)