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Gazas Krankenhäuser vor dem Zusammenbruch: «Bitte tun Sie was»

Die Lage der Kliniken im Gazastreifen verschärft sich dramatisch. Ärzten fehlt es am Nötigsten, um Leben zu retten. Eine Flucht in den Süden, wie von Israel gefordert, kommt für viele nicht in Frage.

Dutzende verletzte Frauen, Kinder, Männer liegen in den überfüllten Gängen der Krankenhäuser Gazas auf dem Boden. Familienmitglieder beugen sich über regungslose Körper, halten ihre Hände oder versuchen, Kinder zu trösten. Daneben kämpfen Ärzte um das Leben weiterer Verwundeter. Videos und Fotos dokumentieren die verzweifelten Szenen. Darunter kursieren auch Aufnahmen, wie Ärzte nur mit dem Licht von Taschenlampen im Halbdunkeln operieren.

«Die Lage im Al-Ahli-Krankenhaus ist katastrophal», sagt der Arzt Ghassan Abu Sitta am Sonntag. «Heute habe ich mehr als zehn sehr schmerzhafte chirurgische Eingriffe an Menschen ohne Anästhesie durchgeführt.» Blutkonserven gebe es auch keine mehr. Das Al-Ahli-Krankenhaus sei das einzige Krankenhaus in der Stadt Gaza, das noch im Betrieb sei. Zuvor habe er im Schifa-Krankenhaus, der grössten Klinik des Küstenstreifens, gearbeitet. Dort musste am Wochenende der Betrieb eingestellt werden.

Die medizinischen Einrichtungen im Gazastreifen sind zuletzt immer mehr in den Fokus der Kämpfe gerückt. Israels Armee wirft der Terrororganisation Hamas vor, sie gezielt für militärische Zwecke zu missbrauchen. Unter dem Schifa-Krankenhaus soll etwa die Kommando- und Einsatzzentrale der Hamas liegen, so der Vorwurf. Menschen vor Ort befürchten, dass dem Gebäude zeitnah ein grossangelegter israelischer Einsatz bevorstehen könnte.

Augenzeugen zufolge befinden sich rund 10’000 Menschen in dem Krankenhaus, darunter Verletzte, die nicht transportfähig sind, medizinisches Personal sowie Schutzsuchende. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtet, den Kontakt zu dem Krankenhaus komplett verloren zu haben. Das Krankenhaus war mit 700 Betten der wichtigste Klinikkomplex im Gazastreifen.

40 Kinder in kritischem Zustand

Wie schwer es ist, mit Menschen aus dem Krankenhaus zu sprechen, zeigt die Kontaktaufnahme mit dem Direktor des Krankenhauses, Mohammad Abu Salamia. Nach rund 20 Anrufen kommt lange Zeit später eine SMS als Lebenszeichen. «Der Beschuss ausserhalb des Krankenhauses hält an», schreibt er. Was genau draussen passiere, wisse er nicht. «Aber wir hören Granaten und Explosionen in der Nähe des Krankenhauses.» 40 Kinder seien in kritischem Zustand und könnten jeden Moment sterben, schildert er.

Die Lage der ohnehin am Anschlag arbeitenden Kliniken im gesamten Gazastreifen hat sich in den vergangenen Tagen dramatisch verschärft. Nach Angaben der WHO sind wegen der schweren Bombardierungen noch knapp ein Drittel der Hospitäler im Einsatz. Es fehle an Treibstoff, Nahrungsmittel und medizinischem Material. Eine Krankenschwester von Ärzte ohne Grenzen schrieb aus dem Keller des Schifa-Krankenhauses nach Angaben der der Hilfsorganisation: «Wir werden hier getötet, bitte tun Sie etwas.»

Israelische Truppen waren vor wenigen Tagen in das Herz der Stadt vorgedrungen. Augenzeugen berichteten von anhaltendem Beschuss, auch auf Krankenhäuser. Israels Militär spricht dagegen von Gefechten mit der im Gazastreifen herrschenden Hamas und wirft ihr vor, sich gezielt in der Nähe von Krankenhäusern zu platzieren. Zivilisten wurden erneut aufgefordert, in den Süden zu flüchten.

Palästinenser suchen nach Überlebenden in Khan Younis, im südlichen Teil des Gazastreifens, nach einem israelischen Luftangrif. 
Fatima Shbair / AP

Nicht für jeden ist eine Flucht möglich

Erstmals öffnete die Armee auch eine Fluchtroute zwischen dem Schifa-Krankenhaus und der Hauptverbindungsstrasse in den Süden. Zudem soll das Militär nach eigener Darstellung dabei helfen, dass Babys der Kinderabteilung «in ein sichereres Krankenhaus» gelangen. Das Klinikpersonal soll darum gebeten haben. Unabhängig zu überprüfen war das gegenwärtig nicht. Augenzeugen zufolge machten sich jedoch wieder Tausende aus dem Norden auf den Weg in den Süden.

Doch nicht für jeden ist eine Flucht möglich. «Wir sprechen über Patienten, die extrem schwer zu bewegen sind. Menschen auf der Intensivstation, Menschen an lebenserhaltenden Geräten, Babys, die Sauerstoff benötigen», sagt eine Sprecherin des Roten Kreuzes, Alyona Synenko, dem US-Sender CNN.

Nicht nur die Situation im Schifa Krankenhaus sei dramatisch. Auch andere Krankenhäuser befänden sich in einer verzweifelten Situation «ohne Strom, Lebensmittel, Wasser». Es sei «schwer vorstellbar, was die Ärzte, die in den Krankenhäusern in der Stadt Gaza arbeiten, im Moment durchmachen – die, die noch da sind», sagte die Sprecherin. Jeder Arzt, auch im Süden, stehe unter enormem Druck. «Nirgendwo in Gaza ist es heute sicher.»