
Niemand hält sich ans Handyverbot: Doch wer im Theater filmt, bewegt sich in der rechtlichen Grauzone
Lange geht alles gut. Dann drückt jemand das unwiderstehliche Knöpfchen. «Bitte nicht mitfilmen, sonst mache ich einen Kommentar zu Ihrem Kurzarmhemd», reagiert Harald Schmidt prompt, das Publikum erheitert sich und der Mann versorgt betreten sein Mobiltelefon. So geschehen vor wenigen Wochen im Schauspielhaus des Theater Basel – und kein Einzelfall.
Nun ist es wenig überraschend, dass nur die wenigsten beim Ticketkauf das Kleingedruckte lesen. Fast überraschender ist, dass dort die Interpretationsfreiheit in der Causa Handy tatsächlich gegen Null geht. Konkret liest man: «Alle Arten von Bild- und Tonaufnahmen sind untersagt. Zuwiderhandlungen können Schadenersatzansprüche auslösen.»
Diese Klausel gilt gleichermassen für Eigenproduktionen und Gastspiele – und wäre sogar überflüssig, würde sich das Publikum an folgenden Abschnitt der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Theater Basel halten: «Mobilfunkgeräte dürfen nur im ausgeschalteten Zustand in den Zuschauerraum mitgenommen werden.»
Auch die wasserdichte Kamera hilft nicht beim Eintauchen
Fairerweise muss man einräumen: Die Meere von Bildschirmen, wie man sie in Popkonzerten sieht, sind (noch) nicht in die Klassik- und Theatersäle geschwappt. Doch der Pegel steigt, auch in der Schweiz. In klassischen Konzerten wird oft gefilmt und auch das Theaterpublikum lässt sich vermehrt dazu hinreissen, jeden Anflug eines Staunens reflexartig haltbar zu machen. Auch die Pressestelle des Theater Basel bestätigt die These: Man habe den Eindruck, dass das «Filmen tendenziell zunimmt.»
Es ist indes ein Verhalten, das spektakulär damit kollidiert, was das Theater eigentlich bieten kann und soll: einen Pool der Imagination, in dem man sich für einige Zeit ganz versenken kann. Doch egal, wie wasserdicht die Kamera – richtig eintauchen kann man mit ihr nicht. Das wird besonders dann zum Problem, wenn das ganze Regiekonzept auf Immersion setzt, wie etwa bei Benedikt von Peters «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny».

Bild: Ingo Hoehn
Mit einer raumgreifenden Inszenierung soll das Publikum den von Brecht erdachten Schauplatz mitbewohnen, also die Stadt, wo alles erlaubt ist und man «alles dürfen darf». Aber eben nur fast! Schon nach wenigen Vorstellungen ergänzte man die Durchsage zum Stückbeginn notgedrungen um einen Satz: «Wir bitten Sie, auf Bild- und Videoaufnahmen zu verzichten.»
Die Klassik hinkt dem Pop hinterher
Diese Handhabung zeigt auch, wie sehr die Klassik in dem Belangen dem Pop hinterherhinkt: Seit Längerem sind dort Konzertbesuchende angehalten, ihre Mobiltelefone in Beuteln zu verstauen, die sich nur in bestimmten Handy-Zonen öffnen lassen. Im Theater versucht man es vorerst noch mit subtilen Hinweisen in Durchsagen oder Untertitelanzeigen.
Dabei gibt es an den AGBs nichts zu rütteln, wie auch Alfred Früh, Professor für Privatrecht an der Universität Basel, sagt: «Es handelt sich um eine Vertragsverletzung.» Wer also mitfilmt, trübt nicht nur sein eigenes Erlebnis, sondern bewegt sich auch rechtlich in der Grauzone.
Tangiert werden im Falle eines Mitschnitts das Urheberrecht (das die Komposition schützt) sowie das Interpretenrecht (das die Interpretation schützt). Die Inhaber beider Rechte dürfen kontrollieren, was mit ihrem Material betreffend Vervielfältigung und Wahrnehmbarmachung geschieht.
«Theoretisch müsste jeder, der das Handy in die Hand nimmt, alle Rechteinhaber um Erlaubnis fragen, weil es sich beim Filmen um eine Vervielfältigung handelt», sagt Früh. Es gibt indes Ausnahmen: Um eine solche handelt es sich etwa bei der Berichterstattung und beim Zitatrecht, das greift, wenn jemand eine «eigene Äusserung illustrieren will». Die wichtigste Ausnahme ist aber jene, dass das Filmen für den «privaten Gebrauch und engen Bekanntenkreis» erlaubt ist.
Den privaten Rahmen verlässt man wiederum schneller, als einem bewusst ist. Etwa, indem man den Mitschnitt auf Social Media teilt. «Das Gesetz sieht dafür unter anderem einen Schadenersatzanspruch für die betroffenen Kunstschaffenden vor», sagt Früh, und weist sogleich auf die Krux hin: «Welcher Schaden dabei entsteht, ist extrem schwer zu beziffern.»
Sozialkontrolle statt Verbote
Wer zum Mobiltelefon greift, sorgt indes nicht nur bühnenseitig für rauchende Köpfe, sondern ebenso besucherseitig. Diese Beobachtung macht man zumindest im Roxy Birsfelden immer wieder, wie der Pressesprecher auf Anfrage schreibt: «Wir sehen, dass Sitznachbarn die filmenden Menschen ansprechen und sagen, dass es stört.»
Auch beim Sinfonieorchester Basel setzt man eher auf Sozialkontrolle als auf strenges Durchgreifen. Elisa Bonomi lässt auf Anfrage wissen: «In der Praxis kommt es zwar immer wieder zu Verstössen, doch ein Einschreiten ist nur begrenzt möglich, da es den Konzertablauf zusätzlich stören würde.»
Gleichzeitig, so führt die Pressesprecherin weiter aus, freue man sich, wenn das Publikum seine positiven Eindrücke teile – etwa vom Applaus – und das SOB auf Social Media verlinke. Das ist das Gemeine an den smarten Geräten: Sie wissen leider viel zu gut, wie man sich unverzichtbar macht.




